© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Das Ziel vor Augen
Erinnerungspolitik: Um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen wird wieder gestritten, doch die Chancen steigen
Peter Freitag

Knapp fünf Jahre nach Gründung der Stiftung für ein "Zentrum gegen Vertreibungen" stehen die Chancen für eine Verwirklichung dieser Einrichtung in Berlin recht günstig - vorausgesetzt die vorgezogenen Bundestagswahlen finden statt und bringen der CDU den Sieg. Denn die Christdemokraten sprechen sich in ihrem jüngst vorgestellten Wahlprogramm dezidiert dafür aus, die Idee des Bundes der Vertriebenen (BdV) zur Errichtung einer zentralen Gedenk- und Forschungsstätte in die Tat umzusetzen (JF 29/05).

Mit dieser Position stellen sich die Unionsparteien gegen den Kurs der (noch) amtierenden rot-grünen Bundesregierung, die eine in Berlin ansässige Einrichtung - vor allem aufgrund von massiven Vorbehalten seitens der Regierungen der ehemaligen Vertrei-berstaaten - bisher strikt abgelehnt hat. Besonders der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel war vehement gegen das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu Felde gezogen, obwohl an der Spitze der Stiftung nicht nur die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach (CDU) steht, sondern auch der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz. Meckel brachte als Alternative die Idee einer Gedenkstätte mit Sitz in Polen oder der Tschechischen Republik ins Spiel, offenbar aus der Sorge heraus, es könnte ansonsten eine zu dominierende deutsche "Opferperspektive" Fuß fassen. Dieser vor allem im Ausland verbreiteten Befürchtung trug auch der Deutsche Bundestag Rechnung, als er am 2. Juli 2002 einen Beschluß verabschiedete, in dem von einem "europäischen Projekt" und der Notwendigkeit "europäischer Partner" für seine Verwirklichung die Rede war.

Geschichtspolitisch gegen den BdV gerichtet, der die Vertreibung von 16 Millionen Deutschen nach 1945 in den Mittelpunkt einer deutschen Gedenkstätte gerückt sehen möchte, machte die Bundestagsmehrheit deutlich, daß ein "europäisch ausgerichtetes Zentrum ... die Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts in ihren verschiedenen Ursachen, Kontexten und Folgen, darunter die Vertreibung der Deutschen, dokumentieren" solle.

Die Pläne der Unionsparteien haben jetzt die ersten polnischen Einsprüche nach sich gezogen. Politiker verschiedener Sejm-Fraktionen warnten bereits vor einer "nationalistischen" Wendung bei den deutschen Christdemokraten und mißbilligten einen neuen "Geschichtsrevisionismus", der die Beziehungen zwischen beiden Staaten belasten könne. "Die junge Generation wird in absehbarer Zeit sagen, daß im Krieg den Deutschen Leid angetan wurde, und nicht umgekehrt", äußerte der polnische Konservative Marian Pilka Medienberichten zufolge. Er kündigte an, seine Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) werde "gegen das Zentrum protestieren, so es denn wirklich gebaut wird". So könnte also auch in Polen, wo im September Sejm-Wahlen anstehen, das Zentrum gegen Vertreibungen zum Wahlkampfthema werden.

Die CDU versucht unterdessen, der Auseinandersetzung die Schärfe zu nehmen. So teilte der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Friedbert Pflüger der Nachrichtenagentur dpa mit, auch seine Partei wolle das Zenrum "zu einem Projekt machen, das so
weit wie möglich europäisiert wird" und das man auch den Polen vermitteln könne; schließlich solle auch die Vertreibung von Polen im Zentrum gewürdigt werden. Die jetzt wieder zutage tretende Angst der Polen, so Pflüger, entstamme "einem alten Reflex gegenüber manchem Vertriebenenfunktionär". Die Deutschen müßten sich nun aber dem Thema nähern können, "ohne daß uns gleich Revanchismus unterstellt wird", sagte der CDU-Politiker. Nach der erfolgten Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts sei eine Dokumentation der Vertreibung "notwendig und legitim", unterstrich er die christdemokratische Position.

Unterstützung erfährt die Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" auch durch über 400 Gemeinden aus dem gesamten Bundesgebiet, die mit einer Summe von fünf Cent pro Einwohner die Patenschaft für die zu errichtende Gedenkstätte übernommen haben. Diese Patenschaften zielen aber nicht nur auf eine finanzielle Unterstützung ab, sondern sollen beispielhaft die gelungene Integration der Heimatvertriebenen an ihren neuen Wohnorten würdigen. Diese trotz aller Schwierigkeiten erfolgreiche Anstrengung soll nach dem Willen der Stiftung ebenso dokumentiert werden, wie das Leiden der Heimatvertriebenen. Ihr Schicksal - insbesondere das der mehr als zwei Millionen Menschen, die Zwangsarbeit, Vergewaltigung und Deportation nicht überlebten - steht jedoch im Vordergrund.

In einer "Requiem-Rotunde" soll in dem Zentrum neben der wissenschaftlichen und musealen Aufarbeitung Raum für "Trauer, Anteilnahme und Verzeihen" gegeben werden. An dritter Stelle in den Vorschlägen der Stiftung, zu deren wissenschaftlichem Beirat auch namhafte internationale Vertreter aus Geschichtswissenschaft und Völkerrecht gehören, steht die Dokumentation weiterer Genozide, "ethnischer Säuberungen" und Vertreibungen, von denen während des 20. Jahrhunderts allein in Europa über 30 Volksgruppen betroffen waren. Mit einem Plädoyer für die Unteilbarkeit der Menschenrechte will das Zentrum gegen solche Verbrechen Stellung beziehen und ihrer Opfer gedenken. In solchem Sinne wird auch der von der Stiftung ausgelobte "Franz-Werfel-Menschenrechtspreis" an Einzelpersonen oder Gruppen vergeben, die sich "gegen die Verletzung von Menschenrechten durch Völkermord, Vertreibung und die bewußte Zerstörung nationaler, ethnischer, rassischer oder religiöser Gruppen gewandt haben". Der diesjährige Preis wurde am 25. Juni in der Frankfurter Paulskirche an den Präsidenten der bosnischen Bischofskonferenz Franjo Komarica verliehen.


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