© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Neue Ergebnisse, alte Diskussionen
Bildungspolitik: Aktuelle Pisa-Untersuchung belegt Unterscheide zwischen den Bundesländern / Bayern an der Spitze
Ellen Kositza

Erneut erhebt sich der Blätterwald zu einem bereits altbekannten Rauschen. "PISA", murmelt das Symbolwort eines kaum vergangenen Menetekels sonor durch Zeitungen und Rundfunkkanäle: Einmal mehr stand Deutschlands einstiges Exportgut Nummer eins, die Bildung, auf dem internationalen Prüfstand.

Den in der vergangenen Woche veröffentlichten Vorabergebnissen gemäß hat sich Deutschlands Stand auf dem Bildungssektor allgemein verbessert, in einigen Bundesländern sogar erheblich. Das ist einigermaßen verwunderlich, da seit dem "PISA-Schock" 2002, der ein eklatantes Abschneiden der Bundesrepublik im internationalen Vergleich auswies, und der neuerlichen Datenerhebung kaum ein Jahr vergangen war. Während Finnland, Korea, Kanada und die Niederlande nach wie vor Spitzenplätze belegen konnten, findet sich Deutschland nun statt im unteren Drittel auf einem guten Mittelplatz wieder.

Die aktuelle OECD-Studie PISA ("Programm for International Student Assessment") legte einen Schwerpunkt auf die mathematischen Fähigkeiten. Zur Untersuchungsgruppe zählten deutschlandweit knapp 45.000 Schüler der neunten Klasse unter Beteiligung von 1.487 Schulen; erfaßt wurden dabei Haupt- und Realschulen ebenso wie Gesamtschulen und Gymnasien. Diskutabel ist erneut der Vergleich der einzelnen Bundesländer. Als einsame Spitze stellte sich dabei in allen geprüften Kategorien wieder Bayern heraus. Der Freistaat konnte sich auf einem fünften Platz weltweit behaupten, während mit Bremen und Nordrhein-Westfalen -trotz Verbesserungen gegenüber "PISA 2000" - zwei Bundesländer in sämtlichen Disziplinen unterhalb des OECD-Durchschnitts liegen.

30 Bewertungspunkte sollen in der Differenz dabei den Lernfortschritt eines Schuljahres bedeuten. Das heißt, ein bayerischer Matheschüler (533 Punkte) der neunten Klasse könnte mit wenig Mühe dem Unterricht einer Elften in NRW (486 Punkte) folgen, während ein Bremer (490 Punkte) in Sachsen (523 Punkte) theoretisch eine Klasse niedriger beginnen müßte.

Die Ost-West-Schere, und das ist die eigentliche Überraschung, spreizt sich längst nicht mehr so eklatant wie noch vor drei Jahren, wohingegen das aus den Vorgänger-Studien bekannte Nord-Süd-Gefälle sich manifestiert hat. Sachsen hat Baden-Württemberg auf dem zweiten Platz abgelöst, auf Platz vier folgt Thüringen, und als größter Aufsteiger hat sich Sachsen-Anhalt drei Jahre nach dem konservativen Regierungswechsel im guten Mittelfeld etabliert.

Dem vorgezogenen Wahlkampf sei es geschuldet, so wird gemunkelt, daß nun gemäß Beschluß der Kultusministerkonferenz bereits im Juli die Eckdaten der neuen PISA-Studie veröffentlicht wurden. Deren endgültige Auswertung soll im Herbst erfolgen.

Kritik am bayerischen Schulsystem

Dabei fragt sich der Medienkonsument, auf wessen Mühlen durch die veröffentlichten Ergebnisse hier wohl Wasser gegossen werden soll, denn Statistiken stellen bekanntlich einen bunten Spielplatz für Interpretationen unterschiedlichster Stoßrichtung dar. Einmal mehr scheint der zum Abenteuerspielplatz gestaltet zu werden, denn ein Wort raunt durch nahezu sämtliche Kommentare in Zeitungen und Radiobeiträgen - die "Chancengleichheit" samt des beigefügten und bedrohlich sich bauschenden Fragezeichens dahinter. Die meistzitierten Stellungnahmen zu den neuen Ergebnissen kamen aus dem Munde von GEW-Vertretern und anderen Befürwortern eines egalitaristischen Schulsystems, die den deutlichen und eigentlich schwer zu entkräftenden Erfolg der bayerischen Schüler relativieren wollen. Konrad Adam nannte dieses Medienecho in der Welt treffend das gewohnte "Pisa-Begleitorchester mit falschen Tönen". Das große Aber, das den durchstartenden Bayern entgegengehalten wird, bezieht sich auf zweierlei: zum einen auf das als allzu streng empfundene Selektionsprinzip, das man hier den Schulformzuweisungen zugrunde legt. 27 Prozent der Schüler legen im Bundesdurchschnitt das Abitur ab, in Bayern sind es gerade mal 21 Prozent. Von einer beklagenswerten "Erschöpfung des intellektuellen Potentials" war etwa im Deutschlandradio die Rede, da man es da ja bei der Masse "verkümmern" lasse - keine Rede davon, daß durch dieses selektive Vorgehen einfach eine begabungsgerechte Ausbildung forciert wird; daß nicht nur die Gymnasiasten, sondern auch die bayerischen Haupt- und Realschüler mit hervorragenden Ergebnissen glänzen können.

Die Chance eines Arbeiterkindes auf eine gymnasiale Ausbildung, so heißt es anklagend, sei "6,2fach" (im Vergleich NRW - Bayern gar zehnfach) geringer als die eines Sprosses aus der Oberschicht - und zwar bei gleicher Intelligenz. Jene aber darf als Phantom gelten. Intelligenz hat nämlich niemand gemessen, weil IQ-Tests weder zum Meßlaboratorium von PISA gehörten noch überhaupt als opportune Kategorie gelten in einer Zeit, da "Sozialisation" alles und ererbte Mitgift ein Ärgernis ist.

Zum anderen richtet sich das Ressentiment der Einheitsschulbefürworter auf die noch zur Veröffentlichung ausstehenden Rahmendaten, die sich mit dem Sozialstatus und der Herkunft der Testgruppen befassen. Bayern hat einen geringen Ausländeranteil und eine vergleichsweise niedrige Scheidungsrate, sprich: die heileren Familien. Von diesen gesellschaftlichen Rahmendaten müsse abstrahiert werden - nach solcher "Bereinigung" stünden freilich auch die mitteldeutschen Länder ziemlich schlecht da. Hier aber beißt sich die Katze vollends in den Schwanz: Wo Scheidungsraten, zerrüttete Familienverhältnisse und ein "Migrationshintergrund" den Schulerfolg meßbar und überdeutlich beeinträchtigen, liegt das Problem zunächst nicht am allzeit zu schwachen Auffangnetz, sondern in der Unbill der Wurzeln selbst.

Das Problem liegt nicht beim schwachen Auffangnetz

Einige Holzwege sind es, die - in ideologisch verblendeter Absicht - hier argumentativ beschritten werden. Schulischer Erfolg oder Mißerfolg hängen in erster Linie weder von Geldmitteln ab (erstklassig ausgestattete Computerräume ab Grundschule, mehrstündige Hausaufgabenbetreuung, gar Ganztagsschule) noch von sozialpädagogisch abgefederten Integrationsmaßnahmen, die etwa Schülern trotz mangelhafter Deutschkenntnisse (wohlmeinender "Ausländerbonus") einen Zugang zu höheren Bildungswegen ermöglichen.

Deutschland, so schilt es der deutsche PISA-Koordinator Manfred Prenzel, versage wie keine vergleichbare Industrienation bei der Förderung von Arbeiter- und Migrantenkindern, um im nächsten Atemzug zwei pädagogische Eigenschaften herauszustellen, die im PISA-Vorzeigeland Bayern zur Anwendung kommen: eine starke Konsequenzorientierung und höhere Konfliktfähigkeit. Fordern statt nur Fördern, könnte man verkürzt sagen. Sicher ist der vielgescholtene und umfassende "Anpassungsdruck" im südlichsten Bundesland größer als in solchen Bundesländern, die sich Multikulturalismus lange auf ihre Fahnen geschrieben haben. Doch nicht nur im Schulalltag gereicht dieser den Bayern zum Erfolg.


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