© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Diesseits der Erlösung
Wegbereiter der europäischen Moderne: In Berlin ist eine sensationelle Goya-Ausstellung zu sehen
Wolfgang Saur

Goya in Berlin. Seit dem 13. Juli zeigt die Alte Nationalgalerie sein Werk in einer repräsentativen Auswahl von 80 Gemälden, 60 Zeichnungen und 30 graphischen Blättern: die erste umfassende Retrospektive des spanischen Meisters im deutschsprachigen Raum. Vorgearbeitet hat ihr die Hamburger Ausstellung "Goya und das Zeitalter der Revolutionen" im Jahre 1980, mit der Werner Hofmann seinen Zyklus "Kunst um 1800" abschloß. Der hatte die Epoche historisch und künstlerisch als Bruch verdeutlicht, die 200 Jahre seitdem als Strahlungsfeld der Moderne benannt. Deren Abgründe bis in die furchtbarsten Weiterungen ausgehalten zu haben, begründet Goyas Ruhm, macht die Faszination seines Werkes aus. Parabolisch chiffriert es die Epochenzäsur und schreitet dabei einen ganzen Zyklus aus.

Goya in Berlin. Gut für uns, weil nicht bloß der Prado in Madrid sich erweichen ließ, zwölf Meisterwerke herzugeben, sondern auch zahlreiche private Leihgeber , deren jetzt ausgestellte Schätze als kleine Sensation erscheinen. Gut für Goya zumal, der hier ein maximales Ambiente erhält, sein Potential zu entfalten. Zunächst, weil Romantiker, Klassizisten, Biedermeier in der oberen Etage, Menzel, französischer Impressionismus und Sezession unten ihn stilgeschichtlich optimal einbetten, was Goyas Profil erst suggestiv hervortreibt.

Sodann, weil der architektonische Rahmen es möglich macht, den Botschafter Spaniens und Visionär der Moderne festlich zu inszenieren. Man hat ihm die Bel Étage ausgeräumt, wo er jetzt triumphiert. Es leuchten die zentralen Säle im intensiven Kolorit seiner Gobelins und meisterlichen Porträts. Quer zur Hauptachse indes und quer zur offiziellen Seite Goyascher Kunst, öffnen die Kabinette dann eine chaotische Welt hinter dem höfischen Schein, jenseits von Aufklärung und "Fortschritt": Kerker, Irrenhaus, Krieg und Wahnsinn - kurz eine verwirrende Amivalenz. Werner Hofmann hat von "Polyfokalisierung" gesprochen, der Mischung und Fragmentierung von Tradition, Erwartungen, Zeit- und Raumverhältnissen, Wahrnehmung, Gestalt und Bedeutung.

Der 1746 geborene Goya wächst auf in Zaragoza, wird künstlerisch dort ausgebildet. Sein römischer Aufenthalt (1770) macht ihn mit der Kunstlandschaft Italiens bekannt. Im selben Jahr stirbt Tiepolo in Madrid. Dessen spätbarocke Formenwelt hat die spanische Kunst lange Zeit bestimmt, bis das klassizistische Schönheitsideal sie überlagerte. Vor diesem Hintergrund schafft Goya, seit 1774 in Madrid, zahlreiche Kartons für die königliche Teppichmanufaktur mit galanten Rokokoszenen und hispanischer Folklore.

Seit 1780 Akademiemitglied, steigt er rasch auf zum Maler des Königs (1786). Er sympathisiert mit Aufklärern und liberalen Reformern; die prägen das Ancien Régime der Bourbonen. Ihren Humanismus reflektieren nun auch Goyas Porträtaufträge. Pomp und emblematischer Dekorationsapparat verschwinden, gefragt sind jetzt Natürlichkeit, Individualität, Realismus. So macht der ehrgeizige Maler rasch Karriere.

Doch Zeitereignisse und schwere Krankheit, die ihn 1792 taub werden läßt, verdüstern seine Weltsicht. Sein Pessimismus schlägt durch in der legendären Radierfolge der "Caprichos" (1799). Die setzen zwar populäre Karikaturen als Sittenspiegel der Aufklärung voraus, doch Goyas Radikalität löscht den Vernunftbezug, steigert die Bildform zur Groteske, ja ins Surreale. Das zeigen auch Historienbilder seit 1808 und neue Radierungen, seine "Schrecken des Krieges", seit 1810.

Von 1808 bis 1813 war Spanien von Napoleon besetzt, und nirgendwo sonst schlug ihm solch erbitterter Widerstand entgegen. Beidseitig grausam wird der Kampf geführt. Goya schwankt unentschieden, schließlich dominiert für ihn der Gewaltaspekt an sich, als absolutes Faktum. Der eine Schrecken entdifferenziert Täter und Opfer, macht Polaritäten brüchig. In der Restauration knüpft er mit dem Thema des Stierkampfs (1816) erfolgreich an patriotische Tendenzen an. Trotzdem nimmt die Vereinsamung zu. Sie kulminiert in den "schwarzen Wandbildern" seines Landhauses (1819-23), wo der Schrecken ganz irrational wird: Ausdruck einer "vollständigen Isolation des Künstlers in der modernen Gesellschaft" (W. Busch). Um politischem Druck auszuweichen, geht er 1824 ins Halbexil nach Frankreich. Unterbrochen von Reisen in die spanische Heimat, stirbt Goya 1828 in Bordeaux.

In Berlin nun hat man den Anspruch, Goyas Werk voll auszuschöpfen, nur teils eingelöst. So läßt die Auswahl der Bilder viele Wünsche offen. Eine ganze Legion von Schlüsselwerken fehlt: die berühmten Porträts, Historienbilder und die Radierung der "Desastres". Trotz allem bestätigt sich die Auffassung vom "universellen Maler".

Goyas Genie umgreift eine Vielzahl von Bildformen, Motivsystemen und Techniken. Dazu die mentale Spannweite, die ihn aus heiterer Rokokowelt der fêtes galantes zu mitleidlosem Realismus brachte und buchstäblich zur Hölle führte. Deren Monstren beglaubigen den "Maler des Phantastischen". Jenes Imaginären freilich, das nur noch die schwarze Variante, keine heilige mehr kennt. Dieser Transzendenzverlust macht Goyas Modernität aus. Hier wurzeln seine Größe und sein Mut: diesseits von Trost und Erlösung den Schrecken nicht aufzuheben in malerisch idealer Form. All das nun bei ungeheurer Kraft, Tradition kreativ zu wandeln, in kühnem Spagat zwischen Höflichkeit und Dissidenz.

Er beginnt mit Kirchenbildern. Doch wirken seine Heiligen hart, opak, festgebannt in Körperlichkeit und tot. Dagegen sprüht die kapriziöse Bildwelt seiner Teppiche, allen voran der "Sonnenschirm" (1777). Doch zeigt der "Hampelmann" daneben schon ein "leeres Rokoko". Volkstümlich dann die spanischen Majos und Majas. Ihnen verdankt sich manches Genrethema, so aus Alltag und Beruf. Wie der "verletzte Maurer" (1787), ein Beitrag zum Jahreszyklus. Sozialkritisch modern faßt Goya das Motiv als "Arbeitsunfall". Für einen Gobelin der Residenz!

Die Porträts, prachtvoll "Karl IV." (1789), sind naturnah, fokussieren Menschlichkeit statt Fürstenaura. So weit sind Mäzen und Maler eins. Doch was die indiskreten Signale in den Bildnissen der Herzogin von Alba? Ihre Bilder gar als (Hure) "Maja"? Unverzichtbar war dem schönen Frauenakt der Tradition sein mythologischer Apparat. Welche Provokation, ihn wegzulassen und Eros zu ernüchtern! Historienbilder dann, die keine Helden kennen, Stilleben, auf denen Tierkadaver jede Schönheit verweigern. Die Caprichos schließlich treiben Komik ins Absurde.

Möglich machte das auch die neue Aquatinta-Technik, die Goya meisterhaft handhabte. Sie gab ihm seine dunklen Hintergründe. Die erinnerten A. Malraux an den Goldgrund von Byzanz. In der Tat: bei gleicher Funktion hat sich ihr Wesen radikal verkehrt. Trübe Flächigkeit signalisiert jetzt Auswegloses, hat das Licht Gottes, die Ideen aufgeschluckt. Im schmutzigen Dämmer der metaphysischen Nacht kommen die Dämonen frei. Goya hat sie ausgehalten. Ermißt man die Größe dieses Genies - und seine Grenze?

Goya, "Der Sonnenschirm" (Öl auf Leinwand, 1777): In der Alten Nationalgalerie leuchten die zentralen Säle im Kolorit seiner Gobelins

Goya, "König Karl IV." (1789), "Duell mit Messern" (um 1812/20)

Die Ausstellung ist bis zum 3. Oktober in der Alten Nationalgalerie in Berlin, Museumsinsel, Bodestraße 1-3, täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis 22 Uhr, Sa./So. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 20 Euro. Tel.: 030 / 20 90 58 01, Internet: www.goyainberlin.org


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