© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Kleiner Mann ganz groß
Die Stimme: T. Quasthoff
Julia Poser

Aus einer Bierlaune heraus ist ein lesenswertes, ja fesselndes Buch entstanden. Der Baß-/Bariton-Sänger Thomas Quasthoff war aufgefordert worden, die Geschichte seines Lebens zu schreiben, was er lange Zeit abgelehnt hatte. Erst als sein älterer Bruder Michael eines Abends bei einigen Gläsern Pils ganz richtig argumentierte, bevor dubiose Schreiberlinge eine Menge Blödsinn verzapften wäre es wohl besser, Thomas schriebe das Buch selbst, ließ der sich überzeugen.

Thomas Quasthoff, 1959 in Hildesheim geboren, ist ein Contergan-Kind. Eines von zwölftausend verkrüppelten Kindern, deren Müttern während der Schwangerschaft das teuflische Beruhigungsmittel verschrieben wurde. Geradezu nüchtern schildert Quasthoff das Elend seiner frühen Kindheit und den Kummer seiner Familie. Noch im Streckverband in der Klinik trällert der kleine Thomas die Schlager nach, die er aus dem Schwesternzimmer hört. Von den Eltern früh gefördert, erhält er als Vierzehnjähriger den ersten ernsthaften Musikunterricht. Die Aufnahme an der Musikhochschule Hannover wird ihm jedoch verwehrt, seine Gesangsausbildung erhält er bei Charlotte Lehmann und Ernst Huber-Contwig.

In den achtziger Jahren singt er sich durch Kirchen, Aulen und Gemeindesäle. Die erste Sprosse der Erfolgsleiter ist der Internationale Musikwettbewerb der ARD, den er 1988 gewinnt. Dann geht es Schlag auf Schlag: Erfolge in den USA, der erste Echo-Preis, ein Grammy für die Einspielung von Mahlers "Des Knaben Wunderhorn" unter Claudio Abbado, noch ein Echo und noch ein zweiter Grammy ...

Quasthoff schreibt herrlich respektlos über kleinere und größere Mißgeschicke, scheut auch nicht zurück, Dummheit und Unverständnis derer anzuprangern, die in ihm nur den Behinderten sehen. Hinreißend komisch ist zum Beispiel seine Schilderung einer Einladung bei Wolfgang Wagner. Großen Raum widmet Quasthoff auch seinen Ausflügen zum Jazz, den er ebenso beherrscht wie das klassische Repertoire. Zwischen U- und E-Musik gibt es für ihn keinen Unterschied - gut muß sie sein. Amüsant plaudert der Sänger über seine internationalen Erfolge, ohne sich selbst zu beweihräuchern. Er beschreibt Schwierigkeiten auf seinen Reisen - wie kommt man mit ein Meter zweiunddreißig an den richtigen Knopf im Fahrstuhl, wie ans Waschbecken? Offenherzig spricht er über das Geschäft mit den Plattenfirmen, über eine enttäuschte Liebe, über Fußball und Politik.

Es ist bei aller Grausamkeit seines Schicksals ein positives, ein fröhliches Buch geworden. Thomas Quasthoff, der seit 1996 auch eine Professur für Gesang an der Musikhochschule in Detmold hat, gebühren Respekt und Hochachtung.

Thomas Quasthoff: Die Stimme. Autobiographie. Ullstein Verlag, Berlin 2004, geb., 320 Seiten, 24 Euro


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