© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Moderator Staat
Kelsen contra Schmitt
Bernd Janssen

Es ist inzwischen so üblich wie trivial, den Demokraten und jüdischen Kosmopoliten Hans Kelsen gegen Carl Schmitt auszuspielen, den Theoretiker des "totalen Staates", Judenfeind und extremen Nationalisten. Auch der an der Lübecker Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung lehrende Robert van Ooyen konnte sich diesem gängigen Muster nicht entziehen. Er vergleicht die beiden Staatsdenker anhand ihres Verhältnisses zur "pluralistischen Demokratie".

Daß Schmitt bei dieser Gegenüberstellung schlecht abschneidet, kann nicht überraschen. Schmitt war einer der ersten, die in den zwanziger Jahren die angelsächsische Demokratietheorie rezipierten und verwarf - in Harold Laskis Variante einer den genuinen Souveränitätsanspruch des Staates bestreitenden Pluralismustheorie. Für Laski ist der Staat bestenfalls ein Moderator vielfältiger Gruppeninteressen. Eine der Vielheit vorausgehende Einheit, einen "allgemeinen Willen", der die Einzelwillen "integriert", ist aus Laskis und Kelsens Sicht nur noch antiquierte Staatsmetaphysik.

Van Ooyen fällt es daher leicht, Schmitts Kritik an der parlamentarischen Demokratie, die auf die "Vorstellung einer homogenen politischen Einheit identischer Interessen" fixiert gewesen sei, darzustellen als Konstrukt eines "erbarmungslosen Kreuzzugs" der "politischen Theologie" gegen "die Moderne", der allein Kelsens politische Theorie gerecht werde.

Auf Schmitts starken Einwand, daß die staatsferne "gesellschaftliche Selbstorganisation" im anarchischen "Wettbewerb der Interessen" zwangsläufig nur den wirtschaftlich Mächtigen ein Dorado ihrer Herrschaftsambitionen eröffne, geht van Ooyen lieber nicht näher ein. Stattdessen legt er Wert darauf, mit seiner Auslegung Kelsens endlich die "bombastische Forschungslücke" geschlossen zu haben, die zwischen der genossenschaftlichen Pluralismustheorie Otto von Gierkes und dem zur bundesdeutschen Herrschaftsideologie avancierten Neo-Pluralismus des Remigranten Ernst Fraenkel klaffte. Kelsens Staatskonzeption müsse als die modernste gelten, die deutsche Staatstheorie im zwanzigsten Jahrhundert hervorgebracht habe. 

Robert Chr. van Ooyen: Der Staat der Moderne. Hans Kelsens Pluralismustheorie. Duncker & Humblot, Berlin 2004, 316 Seiten, broschiert, 74 Euro


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