© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Quote mit Versagern
Oskar, Gregor und das Fernsehen: ARD und ZDF unterstützen die Linkspartei
Detlef Kühn

Im Fernsehen greift das "Lafontaine-Syndrom" um sich. Der neue Führungsmann der Kleinpartei WASG, die es bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gerade einmal auf 2,2 Prozent Wähleranteil gebracht hat, ist im (öffentlich-rechtlichen) Fernsehen überall und zu besten Sendezeiten präsent. Das sei normal, zitiert die Frankfurter Allgemeine die Verantwortlichen von ARD und ZDF. Die Linkspartei werde nach denselben journalistischen Kriterien behandelt wie andere auch.

Das müßte ja zu überprüfen sein. Daß die Spitzenleute von Republikanern oder NPD ebenso großzügig behandelt werden könnten wie Oskar Lafontaine, hat der Chefredakteur und Politikkoordinator der ARD, Hartmann von der Tann, allerdings bereits "mit Blick auf deren politische Ziele" gegenüber der FAZ vorsorglich ausgeschlossen. Aber auch die einer "rechten" Zielsetzung unverdächtige Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP) oder gar die Familienpartei und die Bibeltreuen Christen sollten sich keine Hoffnung auf regelmäßige Fernsehpräsenz machen. So gleich sind sie nun auch wieder nicht!

Ganz neu ist das Syndrom ja nicht. Der andere Führungsmann der Linkspartei, Gregor Gysi, der nun bereits den zweiten Namenswechsel der DDR-Staatspartei SED mit zu verantworten hat, war nach der Wiedervereinigung immer ein Liebling der Medien, besonders des Fernsehens. Seine linksintellektuelle Chuzpe, seine Formulierungskünste machten ihn trotz nicht zu übersehender Belastungen aus der DDR-Zeit zu einem gern gesehenen Gast in den einschlägigen Talkshows. Er hatte und hat auch für Nicht-Linke einen gewissen Unterhaltungswert und bringt damit den Fernsehgewaltigen das, was ihnen am wichtigsten ist - Quote.

Man sollte auch ein Phänomen nicht gering veranschlagen, das Untersuchungen schon vor Jahren ans Tageslicht gebracht haben. Noch immer betrachten sich rund 80 Prozent aller Journalisten in Deutschland in der Selbsteinschätzung als politisch eher "links". Der Rest steht in der Mitte; "rechts" will kaum jemand sein. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Einsatz von Unterhaltungskünstlern wie Lafontaine und Gysi im Fernsehen. Bei ihnen brauchen die zuständigen Redakteure keine Hemmungen zu haben, wie sie bei Politikern wie Udo Voigt oder Franz Schönhuber, die auch schon ihre Fernsehtauglichkeit unter Beweis gestellt haben und bei den Zuschauern sicherlich auf Interesse stoßen würden, selbstverständlich erscheinen.

Die Folgen dieser politisch korrekten Fernsehpolitik sind nicht zu übersehen und bereiten inzwischen sogar der Union und der FDP, die sich bislang in ausreichenden Ergebnissen von Umfragen sonnen durften, Kopfschmerzen. Dem Fernsehen ist es gelungen, die WASG, die noch vor vier Monaten in Umfragen nur in Spurenelementen auftauchte, in kürzester Zeit in die Nähe zweistelliger Prozentzahlen zu bringen. Dies ist nicht verwunderlich, denn vielen Zeitgenossen gilt bereits die bloße Präsenz im Fernsehen als Beweis für Bedeutung. Wer so oft als Interviewpartner gefragt ist, muß doch etwas zu sagen haben, denkt man. Daß sowohl Gregor Gysi als auch Oskar Lafontaine im politischen Tagesgeschäft bereits ihre Chancen hatten und dabei kläglich versagten - der eine als Berliner Senator für Wirtschaft, der andere sogar als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister -, wird vergessen oder bewußt verdrängt.

So ist der durch das Fernsehen beförderte Auftrieb für die angeblich neue Linkspartei auch ein Ausdruck der Ratlosigkeit vieler Wähler. Ob sie dieser Partei im September wirklich in diesem Ausmaß ihre Stimme geben, ist noch nicht ausgemacht. Erst einmal wollen sie via Meinungsumfrage den Etablierten einen gehörigen Schrecken einjagen, was ihnen bereits gelungen ist. Bei unserer politischen Klasse wird das allerdings kaum zum Umdenken führen. Sie hat die größten Schwierigkeiten, das zurückzugewinnen, was sie am meisten benötigt, aber völlig verloren hat - das Vertrauen der Wähler. Dies gilt nicht nur für die abgewirtschafteten Regierungsparteien der vergangenen sieben Jahre, sondern auch für die heutige parlamentarische Opposition, die in den Jahren davor ebenfalls durch hemmungsloses Schuldenmachen und Versagen in der Bevölkerungs- und Ausländerpolitik zur Misere in Deutschland beitrug. Das aktuelle Hickhack zwischen FDP und CDU/CSU in der Steuerpolitik - die eine Partei weiß, daß eine Erhöhung der Mehrwertsteuer das falsche Signal für den erhofften Aufschwung der Wirtschaft wäre, die andere wird sie trotzdem durchsetzen - bestärkt die Wähler in ihrem Verdacht, daß eine bürgerliche Regierung letztlich auch nichts anderes machen wird als die bisherigen Machthaber Schröder und Fischer.

Wem kann man unter diesen Umständen noch trauen? In den zwei Monaten bis zur Wahl ist noch manche unliebsame Überraschung für die etablierten Parteien möglich, vor der sie auch das Fernsehen nicht bewahren wird. Vielleicht ist dann die große Koalition von Union und SPD unvermeidlich.

 

Detlef Kühn war bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn und von 1992 bis 1999 Direktor der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien.


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