© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Hochhäuser aus Dung
Andere Welt: "Die Höhle des gelben Hundes" von B. Daava
Michael Insel

Vor nicht allzu langer Zeit wurden neue Dokumentarfilme auf einschlägigen Festivals gezeigt und anschließend in die dunkelsten Winkel kleiner Programmkinos verbannt. Die meisten Kinogänger erachteten das Genre für stinklangweilig, erinnerte es sie doch an die pädagogischen Machwerke, die ihnen zu Schulzeiten vorgesetzt wurden.

In den letzten Jahren haben einige bemerkenswerte Vertreter dieser Gattung gezeigt, daß es auch anders geht. Ihre Themen reichten von der Fast-Food-Industrie (Morgan Spurlocks "Super Size Me", 2004) über die amerikanische Waffenkultur (Michael Moores "Bowling for Columbine", 2003) bis hin zum Extremsport Bergsteigen (Kevin Macdonals "Sturz ins Leere", 2003) und dem Schicksal eines von der Mutter verstoßenen weißen Kamelfohlens, von dem Byambasuren Davaa und Luigi Falorni in ihrem Debütfilm "Die Geschichte vom weinenden Kamel" (2003) erzählten.

Davaas neues Werk, "Die Höhle des gelben Hundes", entstand als Abschlußprojekt ihres Studiums an der Münchner Filmschule. Wie schon im "Weinenden Kamel" kehrt sie in die Mongolei und zu einem ethnographischen Stil zurück, den sie als "narrative Dokumentation" bezeichnet. Davaa arbeitet mit detaillierten Drehbüchern und Storyboards und begibt sich damit in jenen Grenzbereich zwischen Fakten und Fiktion, den schon Robert Flaherty ausleuchtete, als er 1922 für "Nanuk der Eskimo" die harten Lebensbedingungen in der Arktis verfilmte.

"Die Höhle des gelben Hundes" spielt in den grünen Tälern des Nordwestens der Mongolei, wo Davaas Großeltern ein Nomadenleben führten, und beruht auf einer Fabel, die sie als Kind von der Großmutter hörte. Der Film folgt einer Hirtenfamilie - Laienschauspieler, die für die Kamera sozusagen ihren Alltag aufführen -, deren älteste Tochter gerade aus dem Internat heimgekehrt ist. Beim Dungsammeln hört die siebenjährige Nansa jaulende Laute aus einer Höhle. Tapfer kriecht sie hinein und findet einen Hund, den sie mit ins Nomadenlager nimmt.

Ihr Vater erhebt Einspruch: Der Hund sei höchstwahrscheinlich von Wölfen aufgezogen worden, und ihm sei nicht über den Weg zu trauen. Seine Bedenken scheinen durchaus verständlich, da die Schafherde, die den Lebensunterhalt der Familie ausmacht, mehrmals nachts von einem Wolf angegriffen worden ist. Doch wie es sich im Kino gehört, sind die Sympathien des Publikums natürlich mit dem niedlichen Mädchen und seinem Kampf, den niedlichen Hund behalten zu dürfen.

Anhand dieser einfachen, aber zu Herzen gehenden Geschichte dokumentiert Davaa das Eindringen der Moderne in eine uralte Kultur. Ihr Kommilitone Daniel Schönauer fängt mit seiner Kamera nicht nur die landschaftliche Schönheit ein, sondern auch die Vorboten des 21. Jahrhunderts, die das Nomadenleben mit seinen brutalen Wintern und extrem trockenen Sommern erleichtern: Eine Windturbine versorgt die Jurte mit Strom, für längere Reisen hat die Familie ein Motorrad. Andere Szenen, wenn etwa Nansa ihrer kleinen Schwester mit Hilfe von getrocknetem Dung erklärt, wie Hochhäuser aussehen, oder der Vater mit Geschenken aus der Stadt zurückkehrt - einer grünen Plastikschüssel für seine Frau und einem scheußlichen rosa Stofftier für die Kinder -, stimmen den zivilisationsmüden Zuschauer eher wehmütig.

Wenn der Film einen Makel hat, dann den, daß er gelegentlich ins Sentimentale abgleitet, die Kamera allzu lange auf den allerliebsten Kindern ruhen läßt und nicht recht zu wissen scheint, ob er zum Lachen bringen oder aber zu Tränen rühren will. Doch ist Davaa wie schon mit der "Geschichte vom weinenden Kamel" ein nuancierter Einblick in eine völlig andere Welt gelungen.


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