© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Sehnsucht nach Geborgenheit
Orte der Sicherheit und Rettung: Zur Ausstellung "Wunschwelten - Neue Romantik in der Kunst der Gegenwart " in der Schirn
Claus-M. Wolfschlag

Die sich verschärfende Krisenhaftigkeit der westlichen Welt läßt Ausschau halten nach alternativen Lebensformen. Ähnlich wie in der ersten Hochphase des industrialisierten Systems, als lebensreformerische Ideen auf den Boom der Gründerzeit reagierten, kommt es auch in der Gegenwart wieder zu Strömungen, die Zuflucht in den Themenkomplexen Natur, Religiosität und Romantik nehmen.

Dieser neuen Tendenz in der Kunst hat sich nun die Frankfurter Ausstellungshalle Schirn angenommen. Max Hollein, Leiter der Kunsthalle und zusammen mit Martina Weinhart Kurator der Ausstellung, verlautbarte, "das künstlerische Aufblühen einer neuen romantischen Haltung" in der zeitgenössischen Kulturszene bemerkt zu haben. Die noch bis zum 28. August laufende Ausstellung "Wunschwelten" zeige hierzu den ersten großen Überblick.

Dreizehn junge Gegenwartskünstler werden vorgestellt, deren Arbeit stellvertretend für die Sehnsucht nach Geborgenheit in einer Gesellschaft wachsender Mobilität und Bindungslosigkeit stehen soll, die von sozialem Abstieg und Terrorangst geprägt ist. Ihre vorwiegend aus dem angelsächsischen Raum stammenden Arbeiten erschöpfen sich dabei nicht nur in herkömmlicher Malerei, sondern auch modernere Medien wie Fotografie, Videotechnik und Installation kommen zum Einsatz. Der hierbei wiederbelebte Geist der Romantik, eine modernisierte Suche nach dem Paradiesischen und Schönen, erneuert manche Fragestellungen der Reformbewegungs-Ära.

Wasserleichen und Nackte beim Gruppengebet

Besonders augenscheinlich wird dies bei den fotografischen C-Prints von Justine Kurland (Jahrgang 1969): gestellte Szenerien, die wie Fotos aus der Frühzeit der FKK-Kultur anmuten. Ein nackter Kanufahrer paddelt den Fluß entlang, eine Gruppe Nackter versammelt sich zum Gruppengebet, ein Kohlrabi-Apostel mit Rauschebart sinniert versunken in einer Landkommune.

Gespenstisch wird die Szenerie, wenn sie mit Kleidung kombiniert wird. Ein Druck von 2003, der zum Wasser strebende Mädchen in Schuluniformen zeigt, vermittelt eine magisch-beängstigende Unerklärbarkeit, wie sie auch Peter Weirs Filmklassiker "Picknick am Valentinstag" eigen war. In "The Eel Swamp" von 2001 wird eine Schülerin gar zur Wasserleiche, ein wenig an John Everett Millais' "Ophelia" von 1852 gemahnend.

Die FKK-Kommune ins mittlerweile auch schon wieder nostalgische Hippie-Milieu transformiert Kaye Dona-chie. Seine Gemälde, zum Beispiel "Early morning hours of the night" von 2003, wirken wie unter einen Farbfilter gelegt und zeigen Lagerfeuer- und Kommuneromantik der 1970er Jahre. Eine Klampfe, ein nacktes Pärchen, der Joint in der Hand - eine Wunschwelt zwischen Ausstieg und Konsum, die der Gegenwart längst sehr entrückt wirkt.

Die architektonische Variante der Rückkehr zur Natur liefert David Thorpe mit seinen filigranen Materialcollagen und Scherenschnitten. In der Collage "Good People" von 2002 bastelte er ein monumental wirkendes Waldhaus aus Holz, Rinde, Laub und Blüten. Die Gebäudeentwürfe des 1972 in London geborenen Thorpe bewegen sich irgendwo zwischen den Lichttempeln eines Fidus, der "organischen Architektur" Frank Lloyd Wrights und modernen Ansätzen des ökologischen Bauens. Beispielsweise sein Werk "History is nothing, the world is nothing. Our love will make us free" von 2004 besticht nicht nur im Titel durch fast buddhistischen Geist. Dem dargestellten tempelähnlichen Bau in einer menschenleeren Schneelandschaft kommt eher kultische Bedeutung zu, denn konkret erkennbare Wohnnutzung.

Grobe Farbigkeit und den Schwung der Pop-Art der sechziger und siebziger Jahre nimmt hingegen Christian Ward (Jahrgang 1977) für seine kuriosen Landschaftsgemälde auf. Bilder wie "Inside the Island" von 2003 verbinden Außen- mit Innenräumen und setzen sie konfusen Lichtquellen aus. Was eben noch wie eine Insellandschaft mit Wasserfall erscheint, wird im nächsten Moment zum Magen-Darm-Trakt, durch den undefinierbare Säfte fließen.

Auffällig ist die hohe technische Qualität der ausgestellten Kunstwerke. Christopher Orr präsentiert altmeisterlich glänzende Kleinölbilder, einen Feldvermesser zeigend oder eine Frau, sich um ein verletztes Wildtier sorgend. In "All we need is the air that we breathe" von 2004 erkennt man das populärromantische Motiv eines Paares beim Betrachten von Sternschnuppen.

Virtuoses Spiel mit Farben und Formen

Ebenfalls meisterhaft versteht der gebürtige Paderborner Uwe Henneken das Spiel mit Farbe und Form. Symbolisch zeigt sein Bild "Der Maelstrom" von 2000 einen Künstler vor einem leeren Staffeleirahmen. Dahinter, davor und hindurch schießt dem Betrachter ein virtuoses Spiel der Farben entgegen, von pastellen bis grob expressiv. Der Künstler erscheint als Bändiger der farblichen Urgewalt. Lieblicher präsentiert sich Hennekens Großbild "Burning Shadows of Silence" von 2003 - eine Nackte mit Schmetterlingsflügeln auf einem hellen Wurzelgeäst stehend, das sich im Nirgendwo - wahrscheinlich zwischen Jugendstil und Märchenillustration - verliert.

Großformate bevorzugt auch der 1959 in Edinburg geborene und in Kanada aufgewachsene Peter Doig. Sein expressiver "Gasthof" von 2004 zeigt zwei Personen in historischen Uniformen vor einer nächtlichen Seenlandschaft, und er erinnert in der Darstellungsweise stark an Edvard Munch.

Eher an die Malerei Caspar David Friedrichs lehnt sich Catherine Opies (Jahrgang 1961) Druckserie "Surfers" an. Kleine Menschen schwimmen im unendlich erscheinenden Raum des Meeres, der mit dem Himmel am Horizont verschwimmt, manchmal gar die Figuren beinahe im Nebeldunst verschwinden läßt. Diese moderne Version des Menschen im Angesicht der Größe der Natur verändert allerdings den passiven Friedrichschen Betrachter zum aktiven Freizeitsportler.

Einsamkeit, Bedrohung, Rückgriff und Versinken in der Natur - die Ausstellung "Wunschwelten" zeigt nicht nur im interessanten Werk Opies die spannende Weiterentwicklung romantischer und lebensreformerischer Kunstmotive unter den Voraussetzungen der Gegenwart.

Die Ausstellung "Wunschwelten - Neue Romantik in der Kunst der Gegenwart" ist bis zum 28. August in der Kunsthalle Schirn, Römerberg, täglich außer montags 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. bis 22 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 304 Seiten und 96 Abbildungen kostet 24, 80 Euro. Info: 069 / 29 98 82-0

Christopher Orr, "All we need is the air that we breathe" (2004), Catherine Opie, "Untitled #1" (2003), Peter Doig, "Lunker" (1995), David Thorpe, "Good People" (2002)


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