© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

Subvention der Blechlawine
Umweltpolitik: Die ökologischen und fiskalischen Wirkungen der Pendlerpauschale sind umstritten / Liebgewonnener Besitzstand
Christian Wolter

Noch steht nicht endgültig fest, ob im Herbst tatsächlich ein neuer Bundestag gewählt wird, doch die Politiker aller Couleur überlegen bereits, wie man die desolate Finanzlage des Bundes aufbessern könnte. Dabei wird auch über eine Änderung der sogenannten Pendlerpauschale nachgedacht. Wie immer, wenn des Deutschen liebstes Kind, sein fahrbarer Untersatz, betroffen ist, ist das Thema emotional besetzt - Grund genug, um zunächst einmal die finanziellen Fakten zu betrachten.

Die Pendlerpauschale dient der steuerlichen Geltendmachung der Fahrtkosten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, gehört demnach zu den Werbungskosten, die nach dem Steuerrecht Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen sind und bei der betreffenden Einkunftsart abgezogen werden dürfen. Arbeitnehmer dürfen pro Kilometer einfacher Entfernung pauschale Kosten von 30 Cent geltend machen, allerdings begrenzt auf maximal 4.500 Euro pro Jahr (Autofahrer dürfen höhere Kosten gegen Nachweis geltend machen). Erstmals seit 2004 ist der Kostensatz für alle Verkehrsträger gleich, vorher gab es für Autofahren mehr als für die Benutzung von Bahn, Bus, Fahrrad oder der eigenen Füße.

Für einen durchschnittlichen Haushalt kann diese Entlastung einige hundert Euro im Jahr ausmachen, vorausgesetzt, die Summe der Werbungskosten überschreitet den Pauschbetrag von 920 Euro. Die gesamte steuerliche Wirkung der Pendlerpauschale beläuft sich Schätzungen zufolge auf einen Betrag zwischen vier und sechs Milliarden Euro pro Jahr.

Dieser Betrag erklärt zwar die Begehrlichkeiten des zukünftigen Finanzministers (der derzeitige hätte den Kostensatz am liebsten auf 15 Cent pro Kilometer gesenkt), sagt aber noch nichts aus über die weiteren Wirkungen dieser Regelung. Hier gilt zunächst, wie fast überall, die Erkenntnis, daß, wenn der Staat etwas finanziell fördert, es danach mehr davon gibt. Im Fall der Entfernungspauschale wird der Berufsverkehr zwischen Wohnung und Arbeitsstelle billiger, es gibt also mehr Verkehr. In einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft ist das zwar nicht von vornherein schlecht, allerdings entwickelt sich Verkehr, insbesondere Berufsverkehr, vielerorts zum ernsten Problem.

Der Anteil des Verkehrs am Endenergieverbrauch beträgt in Deutschland rund 28 Prozent (2003) und steigt trotz aller Energiesparbemühungen weiter an. Der Berufsverkehr, der durch die Pauschale gefördert wird, hat einen Anteil von 15 Prozent am gesamten Verkehrsaufkommen und 19 Prozent der Verkehrsleistung, konzentriert sich aber auf wenige Stunden am Tag. Auf diese Spitzenbelastung ist die verkehrliche Infrastruktur auszurichten, was zu hohem Platzverbrauch, hohen Kosten und einer schlechten Auslastung während der restlichen Zeit führt. Beispielsweise wurde die S-Bahn München 1972, dem Jahr ihrer Eröffnung, auf 240.000 Fahrgäste pro Tag ausgelegt, mittlerweile stößt sie mit 720.000 Fahrgästen pro Tag an ihre Kapazitätsgrenze, für etwa eine Milliarde Euro wird nun eine zweite Tunnelstrecke durch die Stadt gebaut.

Entsprechungen im Straßenverkehr sind die oft Schneisen gleichenden Stadtautobahnen, respektive Hauptverbindungsstraßen, mit denen die tägliche Blechlawine kanalisiert und so manche Innenstadtbereiche zur Verkehrswüste degradiert werden.

Außer der Zunahme der Fahrtenzahl je Tag ist auch eine Zunahme der Weglänge zu beobachten. Der Anteil der Pendler, die täglich über 50 oder gar 100 Kilometer zwischen Wohnung und Arbeit zurücklegen, stieg von 1994 bis 2000 um 45 Prozent auf 1,4 Millionen. Damit einher geht auch eine Verlagerung der Verkehre vom umweltfreundlichen Zufußgehen oder Radfahren hin zur motorisierten Beförderung per ÖPNV oder MIV, mit entsprechender Umweltbelastung durch Emissionen, Lärm und Flächenverbrauch.

Ein weiteres Problem betrifft die Stadtentwicklung: Durch die zunehmende Trennung von Wohnen und Arbeiten entwickeln sich viele Innenstädte zu Arbeitsstädten, die nach Büroschluß weitgehend menschenleer sind. Im Gegenzug entstehen Schlafstädte oder die Wohngemeinden im Umland, der vielgescholtene Speckgürtel. Letzteres ist den Städten deswegen ein Dorn im Auge, da sie die Lasten für Infrastruktur und zentrale Einrichtungen tragen, das Steueraufkommen aber den Wohnorten zufließt.

Daß lebendige, abwechslungsreiche Stadtviertel mit Mischnutzung (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen) im Rückgang begriffen sind, hat sicherlich auch andere Ursachen als die steuerliche Förderung durch die Pendlerpauschale, wird aber durch diese beschleunigt. In Anbetracht dieser Folgen ist es kein Wunder, daß die Abschaffung der Pendlerpauschale schon mehrfach gefordert wurde, etwa in einer gemeinsamen Studie von Umweltbundesamt und Ifo-Institut. Wie bei allen liebgewordenen Besitzständen finden sich natürlich auch hier Argumente für den Erhalt, hauptsächlich soziale Erwägungen. Bei einer nüchternen Betrachtung gelangt man allerdings zu dem Schluß, daß die Subventionierung langer Arbeitswege nicht zu den Aufgaben eines Staates gehört, Nettoprinzip hin oder her.

Dies liegt eindeutig in der Eigenverantwortung jedes Bürgers, und die Folgen einer derartigen Entscheidung sollte der Verursacher und nicht die Allgemeinheit tragen. Auch die vielbeschworene Familienfreundlichkeit der Entfernungspauschale zieht nicht - wer Familien fördern möchte, kann dies auf direktem Wege, etwa über die Einführung eines steuerlichen Familien-Splittings oder eine familienfreundliche Stadtplanung, wesentlich effizienter als auf die indirekte Art der steuerlichen Anrechnung von Fahrtkosten tun.

In den Bundestagswahlprogrammen machen nur CDU und CSU eindeutige Aussagen zur Pendlerpauschale. Danach soll diese auf 25 Cent je Kilometer sinken und bis maximal 50 Kilometer Entfernung berücksichtigt werden. SPD und Grüne halten sich in ihren Aussagen zurück. Dabei würde eine Abschaffung bei vielen Grünen-Wählern aus ökologischen Gründen auf Zustimmung stoßen. Ein Ende der Entfernungskostenpauschale wäre aber auch im Zuge der überfälligen Vereinfachung des Steuersystems, wie es die FDP in ihrem Programm vorschlägt, nur vernünftig - genaue Aussagen sucht man in dem umfangreichen Werk allerdings vergebens. Die Linkspartei möchte zwar viele Steuervorteile abschaffen, die Pendlerpauschale jedoch erhalten, die Republikaner und die NPD fordern nur allgemein eine Reduzierung von Steuervergünstigungen.

Aber egal, wer nach der Wahl regiert - die Pendlerpauschale wird wohl, trotz staatlicher Finanznot, noch einige Zeit erhalten bleiben.


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