© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Eine Flut namens Stoiber
Wahlkampf: Die CDU-Politiker in Mitteldeutschland klagen über den bayerischen Ministerpräsidenten und fühlen sich an das Jahr 2002 erinnert
Paul Leonhard

Die katastrophale Flut in Sachsen, die weite Landstriche überschwemmte und das historische Zentrum der Landeshauptstadt Dresden unter Wasser setzte, hat vor drei Jahren Gerhard Schröder die Kanzlerschaft gerettet. Der Sozialdemokrat und seine bündnisgrünen Verbündeten nutzten damals geschickt die unverhoffte Chance und raubten der CDU den schon sicher geglaubten Wahlsieg. "Heute ist erneut eine Flut über uns gekommen, die heißt Edmund Stoiber", sagt ein hochrangiger Christdemokrat aus dem Umfeld von Sachsens Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU).

Auch Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer findet die Nachrichten der vergangenen Wochen "alles andere als witzig". Erst die verbale Entgleisung des Brandenburger Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) zu den abscheulichen Verbrechen in Frankfurt/Oder - Kretschmer wies die Erklärungen des CDU-Politikers, die Sozialisierung in der ehemaligen DDR könnte ein Grund für eine solche Tat sein, als absurd zurück: "Solche Verbrechen haben nichts mit der Gesellschaftsform zu tun."

Die jüngsten "deftigen" Aussagen von CSU-Chef Edmund Stoiber über die Mitteldeutschen versucht Kretschmer "niedrig zu hängen". Der Wahlkampf in Bayern werde eben "etwas deftiger und pointierter" geführt als in Mitteldeutschland gewohnt. "Wir in Sachsen und in den neuen Ländern gehen ein wenig kulturvoller und differenzierter miteinander um", sagt der Bundestagsabgeordnete. Dabei weiß der 30jährige, daß Stoiber im Prinzip recht hat. Der Osten ist frustriert. Und die letzten Bundestagswahlen hat die CDU im Osten verloren. Ohne die Wähler in den neuen Ländern wäre Stoiber heute Kanzler.

Die Politikverdrossenheit ist in den vergangenen Jahren in den neuen Ländern weiter gewachsen. Die Arbeitslosen haben von jeglicher Politik die Nase voll und setzen auf Linkspartei und NPD. Die Arbeitnehmer vergleichen die eigenen sinkenden Einnahmen mit den Schmiergeldaffären, in die zunehmend Spitzen aus der deutschen Politik und Wirtschaft verstrickt sind. Die Rentner verstehen nicht, wieso sie Nullrunden im Kauf nehmen müssen, während Rentenministerin Ulla Schmidt schon nach dreijähriger Amtszeit ab dem 55. Lebensjahr eine Pension in Höhe von 6.300 Euro zusteht.

Seit Jahren spießt das Leib- und Magenblatt der Bürger in den neuen Ländern, die Wochenzeitschrift Super-Illu, solche Themen auf. Aber nicht nur die PDS-Wähler fühlen sich "von den Wessis über den Tisch gezogen" wie der Meinungsforscher und Chef des Forsa-Instituts Manfred Güllner glaubt, auch die Stammwähler der anderen Parteien sind enttäuscht.

Nachdem viele der Enttäuschten der NPD einen triumphalen Einzug in den Dresdner Landtag beschert hatten, neigt sich diesmal das Pendel offensichtlich zu der nun als Linkspartei firmierenden SED. Diese liegt nach aktuellen Umfragen in Sachsen beispielswise bei 26 Prozent und damit knapp vor der SPD mit 24 Prozent. Für die CDU würden 35 Prozent stimmen.

Neben der Klientel einstiger SED-Genossen, die heute in den Behörden und Redaktionen sitzen und sich von ihren Westchefs gegängelt fühlten, könnten populistische Wahlkampfauftritte Oskar Lafontaines im Osten der Linkspartei weitere Stimmen bringen. Aktuell ist sie nach jüngsten Umfrageergebnissen mit 31 Prozent die stärkste Kraft in den neuen Bundesländern, während die SPD bei 28 und die CDU bei 27 Prozent liegt.

Entscheidend für die CDU im Osten wird die Auseinandersetzung mit der Linkspartei sein. Darauf haben sich die Christdemokraten in ihren Wahlkampfbroschüren eingestellt. Aber ehe sie ihre Argumente plazieren konnten, sind sie durch die Attacken Schönbohms und Stoibers auf die Mitteldeutschen in die Defensive gedrängt worden. Statt zu agieren, müssen die CDU-Spitzenpolitiker auf hämische Anfragen reagieren.

Überdies gelingt es den politischen Gegnern anscheinend, einen Keil zwischen CSU und CDU zu treiben. "Die alten Herren halten sich an keine Vorgaben", stöhnt man im sächsischen Wahlkampfteam mit Blick auf München und Potsdam. "Die haben uns einen Bärendienst erwiesen." Wengleich Schönbohm schon wieder Oberwasser hat und medienwirksam an Stoiber appellierte, im Wahlkampf einen Bogen um den Osten zu machen und vor allem der CDU nicht in die Quere zu kommen.

Einen anderen alten Herren würden die Christdemokraten in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt dagegen gern in den Wahlkampf schicken: Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, der für das Gros der Menschen in Mitteldeutschland noch immer als "Kanzler der Einheit" verehrt wird. Aber Kohl ist schwerkrank. Also muß sein einstiges "Mädel" Angela Merkel den Wahlkampf allein realisieren. Ob sie in öffentlichen Veranstaltungen das Herz der Mitteldeutschen für sich öffnen kann, wird abzuwarten sein.

Mit wahlentscheidend wird das Fernsehduell zwischen Merkel und Gerhard Schröder sein, dem die meisten mitteldeutschen Haushalte mit Spannung entgegensehen. "Was wollen die Leute hören?" fragt Sachsens CDU-Generalsekretär Kretschmer sein Wahlkampfteam ein wenig hilflos. Letztlich hat er sich für bittere Wahrheiten entschieden. Dazu gehört für ihn auch ein Verzicht auf einen vorderen Platz auf der Landesliste. Der Görlitzer kämpft in Ostsachsen als Direktkandidat unter dem Slogan "Die Chance nutzen" um seinen erneuten Einzug in den Bundestag.


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