© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Vierzigjährige an die Wiege
Familienpolitik: Berliner Wissenschaftler empfehlen, die geburtenstarken Jahrgänge mit finanziellen Anreizen für Nachwuchs zu begeistern
Werner Veith

Eine gute Familienpolitik könnte die Geburtenrate deutlich steigern, schreibt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in einer Kurzstudie. Gerade jetzt sei eine Babyprämie von 2.500 Euro ratsam, um die letzten geburtenstarken Jahrgänge (1960 bis 1970) für Nachwuchs zu motivieren. Die Autoren der Studie verknüpfen dabei zwei Ebenen. Erstens verweisen sie auf jene Frauen, die heute zwischen 35 und 45 Jahre alt sind. Zweitens unterstellen der Publizist Reiner Klingholz und die Wissenschaftlerin Nienke van Olst, daß die Deutschen auf finanzielle Anreize reagieren wie beispielsweise die Australier.

Ein Blick auf die sogenannte Alterspyramide (die eher einem Pilz oder Tannenbaum gleicht) zeigt im Jahr 2004 einen deutlichen Überhang der 35- bis 45jährigen Frauen. Diese Altersgruppe umfaßt mehr als 7,5 Millionen Frauen. Die Autoren sind sich natürlich darüber im klaren, daß nicht jede Frau in diesem Alter einen Kinderwunsch verspürt. Einige wollten einfach keine Kinder. Manche bekämen aus medizinischen Gründen keinen Nachwuchs. Anderen fehle der richtigen Mann zum richtigen Zeitpunkt. Und schließlich gebe es eine Gruppe von Frauen, die auf ein erstes oder weiteres Kind verzichten - und zwar aus finanziellen Gründen oder weil sich Beruf und Familie schlecht unter einen Hut bringen lasse. "Dieser letztere Teil der Gesellschaft wäre ansprechbar für eine neue Familienpolitik", urteilt die Studie. "Wenn nur zehn Prozent der 35- bis 45jährigen Frauen aufgrund familienfreundlicher Maßnahmen einen Kinderwunsch wirklich werden ließen, würden in den kommenden zehn Jahren 750.000 zusätzliche Kinder in Deutschland geboren" (siehe nebenstehende Grafik). 750.000 Kinder entsprächen mehr als einem kompletten Nachwuchsjahrgang. Die 750.000 zusätzlichen Kinder würden dann in das Erwerbsleben eintreten, wenn die Babyboom-Generation in Rente gehe. Das stabilisiere in der Zukunft die Sozialsysteme.

Gerade jetzt müsse die Politik handeln, fordert das gemeinnützige Berlin-Institut: "Nur noch für etwa zehn Jahre steht ein Zeitfenster für einen kleinen Babyboom offen. Danach sinkt die Zahl der potentiellen Mütter", die Chancen für eine bezahlbare Familienfreundlichkeit schwänden. Dann werde es wesentlich teurer, vergleichbare Effekte zu erzielen. Daß sich Frauen über 35 Jahren für ein Kind entscheiden, sei durchaus realistisch. Denn das Alter, in dem Frauen Kinder bekämen, verschiebe sich seit Jahren nach oben. Seien 1990 nur fünf Prozent der Erstgebärenden über 35 Jahre alt gewesen, so liege ihr Anteil im Jahr 2000 bereits bei 16 Prozent.

Das zweite Argument der Studie basiert auf australischen Erfahrungen. Dort fiel die Kinderzahl pro Frau (Fertilitätsrate) seit Jahrzehnten - von 3,55 im Jahr 1961 auf 1,74 Babys pro Frau im Jahr 2004. Dann zahlte die australische Regierung Babyprämien, die sich mittlerweile auf 2.500 Euro belaufen. Die Geburten schnellten auf 250.000 Babys im Jahr 2005, die höchste Zahl seit 1995, berichtet die australische Statistikbehörde. Deshalb stieg die Fertilitätsrate auf 1,77. Notwendig für eine konstante Bevölkerungszahl seien jedoch 2,1 Babys pro Frau, sagt Peter McDonald, Professor für Bevölkerungswissenschaften.

Zum Vergleich: In Deutschland kommen 1,3 Kinder pro Frau zur Welt. Zusätzlich zu den finanziellen Anreizen sei es aber wichtig, daß die Regierung durch ihre Politik Kinderfreundlichkeit ausstrahle, meint McDonald.

Ähnlich argumentiert das Berliner Institut: "Langfristig sollten familienfreundliche Programme eher auf jüngere Menschen mit Kinderwunsch zielen." Ein Vergleich mit westeuropäischen Ländern zeige, daß die Kinderzahlen dort höher lägen als hierzulande, wo sich die Menschen in jüngeren Jahren zur Familiengründung entschlössen.

Die Studie ist im Internet unter der Adresse www.berlin-institut.org  abrufbar.


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