© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

"Die Gewalt war alles, der Mensch war nichts"
Geschichtspolitik: Opfer erinnern an die Wiedereröffnung des Lagers Sachsenhausen durch die Sowjets vor 60 Jahren
Ronald Gläser

Gisela Gneist wurde im Dezem ber 1945 als Angehörige einer Wittenberger Schülergruppe von sowjetischen Soldaten festgenommen. Die damals 15jährige wurde Opfer eines der ersten Unrechtsurteile der sogenannten Sowjetischen Militärtribunale (SMT).

Wegen 'illegaler Gruppenbildung' wurde Gisela Gneist im Februar 1946 in Brandenburg an der Havel zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Den größten Teil ihrer Haftzeit von September 1946 bis zu ihrer Entlassung im Januar 1950 verbrachte sie unter unmenschlichen Haftbedingungen in dem von dem NKWD im August 1945 wieder in Betrieb genommenen NS-KZ Sachsenhausen. Erst im März 1950 wurde dieses Nachfolgelager, nun 'Speziallager' genannt, geschlossen."

So wie diese lesen sich viele der Opfergeschichten aus der Sowjetzeit im besetzten Nachkriegsdeutschland. Hunger, Seuchen, Übergriffe durch das Wachpersonal waren in den Lagern an der Tagesordnung. Von 60.000 in Sachsenhausen Inhaftierten kamen 12.000 bis 15.000 ums Leben.

Am vergangenen Wochenende, dem geschichtsträchtigen 13. August, erinnerte die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V. an die (Wieder-) Eröffnung des Lagers durch die Sowjets nur wenige Wochen nach Kriegsende. Neben der Erinnerung an die Opfer sollte dabei der Appell, "Tendenzen zur Unterschätzung und Verharmlosung der Verbrechen der kommunistischen Diktatur massiv entgegenzutreten", im Mittelpunkt stehen. Rund 200 Personen erschienen zur Zeremonie. Als Hauptredner sprach der Publizist Ulrich Schacht, der 1951 im Frauengefängnis Hoheneck in Sachsen zur Welt kam. Seine Mutter war aus politischen Gründen bis 1954 inhaftiert. Schacht selbst wurde von den DDR-Machthabern von 1973 bis 1976 eingesperrt. In seiner Rede erinnerte er an die körperlichen und seelischen Schäden, die die Inhaftierten von damals davongetragen haben (siehe Dokumentation auf Seite 12).

Er warnte zudem vor dem "Pseudohumanismus, der sich nach 1968 in den Medien und an den Universitäten verbreitet und festgesetzt" habe, und geißelte die staatliche Gedenkpolitik. Wenn Außenminister Joseph Fischer behaupte, Auschwitz sei der Gründungsmythos der Bundesrepublik, dann sei dies "Ausfluß eines sadistischen Charakters". Schacht warf Fischer "vollkommene Resistenz gegenüber dem längsten Totalitarismus" vor. Noch heute fühlen sich die Opfer der kommunistischen Willkürherrschaft als "zweitklassig". So habe die Gedenkstätte das einzige Gebäude, das an die Inhaftierten nach 1945 erinnert, bewußt außerhalb der eigentlichen Gedenkstätte plaziert.

"Der linke Faschismus hat nach 1945 den rechten angeklagt, um von sich selbst abzulenken", sagte Schacht. Der heute in Schweden lebende Journalist endete mit einigen lebhaften Schilderungen aus der Zeit nach 1945, er erwähnte den verwanzten Zustand der Baracken und erinnerte an die katastrophale Versorgung mit Nahrungsmitteln.

Landsbergis mahnt die Europäer, sich zu erinnern

Im Anschluß sprach der frühere Ministerpräsident von Litauen, Vytautas Landsbergis, in seiner Rede von "falschen Urteilen für Gegner der Diktatur". Sie seien deswegen falsch gewesen, weil sie sich gegen "Volksfreunde, nicht aber gegen Volksfeinde gerichtet" hätten.

"Es ist für Westeuropäer auch an der Zeit, sich diese Dinge bewußt zu machen." Mit diesen Worten versuchte der Balte seine Nachbarn wachzurütteln. Dankenswerterweise habe das "Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der beide Diktaturen als Tyrannei bezeichnet werden": zwei Tyranneien, die beschlossen hätten, den Zweiten Weltkrieg zu beginnen. "Die Gewalt war alles, der Mensch war nichts", faßte Landsbergis die Ära des Totalitarismus zusammen. Abschließend erinnerte er an die Zusammenarbeit von KGB und Gestapo in Polen bis zum Frühjahr 1941. Landsbergis: "Diese (früheren deutschen, die Red.) Konzentrationslager waren ganz gut tauglich für den sowjetischen Bedarf."

Am Vortag der Gedenkveranstaltung der Opferverbände hatte auch die Gedenkstätte Sachsenhausen eine "offizielle" Zeremonie zum Andenken an die Häftlinge aus der Zeit des "Speziallagers Nr. 7" veranstaltet. Brandenburgs Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) sprach auf dieser Feier von einem Ort der "doppelten Geschichte". Die Ministerin dankte denjenigen, die nach 1990 ihr Schweigen gebrochen hätten, wie sie sich ausdrückte.

Dem Leiter der Gedenkstätte Günter Morsch wird seitens der Opferverbände "politische Einseitigkeit" vorgeworfen. Er hatte auf der Feier seiner Gedenkstätte suggeriert, erst nach der Wende 1989 habe diese Geschichte aufgearbeitet werden können. Dabei haben doch bereits vor 1990 Gegner des kommunistischen Unrechts wie Ulrich Schacht immer wieder darauf hingewiesen, was für unmenschliche Zustände in den Gefangenenlagern der Zone geherrscht habe. Das wollte nur damals - auch im Westen - kaum jemand hören. 


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