© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Verantwortung
Karl Heinzen

Nach einem brandenburgischen Landesgesetz müssen offenbar alle Behörden Daten über "gewaltgeneigte extremistische Bestrebungen" dem Verfassungsschutz zugänglich machen. Auch die Studentenvertretungen scheinen dieser Informationspflicht zu unterliegen. So wurde der Potsdamer AstA aufgefordert, Namen, Wohnanschriften und alles andere, was irgendwie verwertbar sein könnte, zu melden. Die Studentenfunktionäre halten das Ansinnen für empörend.

Sicherlich vermag diese Bestimmung all jene zu beunruhigen, die es als Alleinstellungsmerkmal der Bundesrepublik in der deutschen Geschichte ansehen, daß sie die staatliche Macht in die Schranken weise. Unterdessen, da der Rechtsstaat längst Politikern wie Otto Schily oder Günther Beckstein überlassen ist, sollte dieser Glauben allerdings nicht mehr allzu weit verbreitet sein. Der Potsdamer AstA kann sich somit nicht darauf berufen, daß hier etwas von ihm verlangt würde, das hierzulande als ungewöhnlich angesehen werden könnte. Auch das Rückzugsargument einer Arbeitsüberlastung wäre nicht glaubhaft. In der Vergangenheit ist es Studentenvertretungen immer wieder möglich gewesen, über Kommilitonen, die durch vermeintlich rechtslastige Umtriebe auffällig geworden waren, umfängliche Datensammlungen anzulegen, ohne daß sie darüber ihre sonstigen Pflichten mehr als sowieso beabsichtigt vernachlässigt hätten.

Eher handelt es sich wohl um eine Stilfrage: Die Potsdamer Studentenfunktionäre empfinden es als unappetitlich, daß "jedermann potentieller Spitzel sein" soll - und sprechen damit den Kern des Problems an. Eigentlich ist unser Staat nämlich sowohl technisch als auch rechtlich in der Lage, die Lebensumstände und Aktivitäten jedes Einzelnen umfänglich aufzuklären. Auf ein flächendeckendes Spitzelwesen, wie es die DDR auszeichnete, könnte also durchaus verzichtet werden. Für den Bürger hätte dies den Vorteil einer Gewissensentlastung. Er könnte den Staat gewähren lassen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Und doch sollte man sich davor hüten, diesen bequemen Weg einzuschlagen. Ein Gemeinwesen lebt von der Loyalität und der Bereitschaft der Bürger, sich aktiv einzubringen. Ihre Verbundenheit mit der öffentlichen Ordnung wächst, je mehr sie auch persönlich Verantwortung für deren unausbleibliche Schattenseiten übernehmen. Gerade hier sollte man sich am Beispiel DDR orientieren: Hätte sie nicht über so viele Denunzianten verfügt, wäre ihr Rückhalt in der Bevölkerung der "neuen Bundesländer" längst marginal.


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