© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Auf der Pirsch im Großstadtdschungel
Blindwütige Liebe: Das Anti-Stalking-Gesetz bauscht ein Alltagsphänomen zum gesellschaftlichen Tumor auf
Ellen Kositza

Solche Leute gibt es: Die stellen aus verschmähter Liebe einem Mitmenschen nach, ja widmen ihren ganzen Lebensalltag der Fährte des abweisenden Anderen und werden - aus Eifersucht und um ihrem hoffnungslosen Anliegen Nachdruck zu verleihen - gewalttätig. Gar von Mord und Totschlag war vereinzelt die Rede.

In der Mehrzahl sind Prominente und Protagonisten komplizierter Familiendramen Opfer solcher Szenen. Dagegen greifen bereits diverse Paragraphen des Gewaltschutzgesetzes, die den blindwütig Liebenden Aufenthalts- und Kommunikationsverbote auferlegen können. "Stalking" ("Heranpirschen") nennt sich neudeutsch jedwede "unerwünschte Kontaktaufnahme", soweit die Betroffenen sich durch den unliebsamen Verehrer in ihrer Lebensführung beeinträchtigt fühlen - und sei es, daß sie die Stammdisko meiden müssen oder mehrmals Liebesgrüße in ihrer Post auffinden.

Der gängige "Stalking"- Fall - geht man von den veröffentlichten Zahlen aus, die zwischen 17 und 24 Prozent von "Stalking" betroffener Frauen sprechen und zu 50 Prozent einen ehemaligen Bettgefährten als "Täter" nennen - dürfte sich beispielsweise so darstellen: Ein junger Mann, nennen wir ihn Hansjörg, neu in der Großstadt, hat da eine nette junge Frau kennengelernt, vielleicht eine Sabine. Für Spätstarter Hansjörg eine überwältigende Erfahrung: Da wird man angesprochen, unterhält sich nett, und plötzlich landet man in der Kiste! Das Herz schnappt schier über, die Hormone flippen aus. Einige Tage verbringt das Paar auf Wolke sieben, ein Ort, den Hansjörg bislang nur vom Hörensagen kannte, dann reagiert Sabine plötzlich spröde, weist ihn gar brüsk ab, reagiert nicht mehr auf Anrufe und E-Mails.

War ich zu forsch, zu wenig freigiebig? fragt sich Hansjörg und verfällt so auf die altmodische Idee des Briefeschreibens, läßt opulente Blumensträuße anliefern. Der Text auf Sabines Anrufbeantworter ist nun eindeutig auf den Verschmähten gemünzt: "Hansjörg, vergiß es! Alle anderen sprechen bitte nach dem Piepton ..."

Drei Jahre Haft für allzu hartnäckige Minne

Irgend etwas muß Sabine verletzt haben. Ein schlimmes Mißverständnis, ahnt Hansjörg. Ist sie am Ende schwanger und schämt sich, dies zu offenbaren? Zum ersten Mal in seinem Leben nimmt Hansjörg das Wort "Beziehungskrise" in den Mund, als Arbeitskollegen seine Fahrigkeit bemerken und nachfragen.

Ich muß sie sehen, werde in jedem Fall zu ihr stehen, beschließt der Verliebte und wartet vor dem Bürogebäude, in dem Sabine arbeitet. Nach Dienstschluß will er sie aufhalten, doch es sind keine zärtlichen Worte, die sie ihm schenkt; klackklack, hallen ihre Absätze auf dem Asphalt, und fort ist sie.

An den nächsten Tagen ist Hansjörg nicht minder erfolglos - es muß einen Hintereingang geben. Ihm scheint, wie in langen Jahren zuvor, das einsame Bierchen in der Bar um die Ecke zu bleiben. Doch halt, das ist doch Sabine! Aber was tut sie, und mit wem? Sie lehnt am Zigarettenautomaten, knutschend. (Daß Sabine zuvor im größeren Kreis Anekdoten über diesen "kleinen Idioten" zum besten gegeben hatte, der gleich mit Heiratsantrag und so anrückte, ist Hansjörg entgangen.)

Weg von hier, Decke übern Kopf, heulen, ist Hansjörgs erster Impuls. Doch da erwacht sein Wille und hält dagegen: Was erwartet eine Höllenfrau wie Sabine wohl vom Mann ihrer Wahl - daß er kämpft, daß er sich um ihre Liebe verdient macht! Das Bild vom Ritter und seiner spröden Buhlschaft treibt ihn zu neuer Minne - bis er einen Strafantrag in der Hand hält, Gegnerin: Sabine ...

"Stalking" halte sie für eine unliebsame "Modeerscheinung", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die den nun verhandelten Gesetzesentwurf bereits im April eingereicht hat. Dabei dürfte es sich um einen Zirkelschluß handeln. Wie so oft - bestes Beispiel ist das populäre Sozialklischee des "Mobbing" - bauscht erst die Schaffung eines Wortes aus der großen Kiste der Leidensbegriffe ein Phänomen aus der vitalen Bandbreite der Lebensäußerungen zum gesellschaftlichen Tumor auf.

Das "Anti-Stalking-Gesetz", dessen Straftatbestand nach Zypries' Vorlage auf "Nachstellen" lauten wird und vehemente E-Mail-Anfragen ebenso wie das Einklinken des "Stalkers" in den Familienkreis (also etwa den Vermittlungsversuch durch Schwester oder Mutter) als Beweise führen will, soll noch vor der Neuwahl im September verabschiedet werden. Für Narren wie Hansjörg sieht es eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor.


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