© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Vielleicht nur ein großes Mißverständnis
Parteien: Während Lafontaine von "Fremdarbeitern" spricht, fordern WASG und Linkspartei eine großzügige Einwanderungspolitik
Peter Freitag

Am Anfang war das Wort; "Fremdarbeiter" nannte Oskar Lafontaine jene, die deutschen "Familienvätern und Frauen ... zu Billiglöhnen die Arbeit wegnehmen". Die Aufregung um die Wortwahl des Spitzenkandidaten der in der neuen Linkspartei-PDS untergeschlüpften Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) hat sich schon wieder etwas gelegt, vergessen ist der "verbale Fauxpas" (Der Spiegel) indes noch nicht.

Waren die einen erstaunt über die plötzlich auftauchenden "nationalen Töne" des Saarländers, sahen andere darin nur eine erneute Erscheinungsform der ressentimentgeladenen Auffassungen des ehemaligen Bundesfinanzministers. Einig war man sich in der Bewertung des Ganzen als wahltaktischem Winkelzug, mittels dessen "irregeleitete" Wähler der NPD (Lafontaine) abgeworben werden könnten. Trotz dieses Hautgouts sah der darob Gescholtene keine Veranlassung, sich zu entschuldigen, und auch die Distanzierungen der WASG und der PDS fielen erstaunlich sanft aus.

Als Ausrutscher kann die Formel vom "Fremdarbeiter" schon deswegen nicht durchgehen, da sich ähnliche Aussagen in Lafontaines aktuellem Buch "Politik für alle" finden lassen; etwa seine These von der "forcierten Einwanderung", die "einzig von den oberen Zehntausend gefordert" werde (JF 34/05).

Weitgehend unbeachtet in der Debatte um den - vermeintlichen oder tatsächlichen - Gleichklang von linkem und rechtem Populismus scheinen jedoch die Widersprüche zu bleiben, die sich zwischen Lafontaines Aussagen und denen der Parteiprogramme von WASG und Linkspartei/PDS auftun. Denn während der eine in "Politik für alle" die ungebremste Zuwanderung geißelt, ethnische Parallelgesellschaften und Schulen, in denen deutsche Kinder in der Minderheit sind, beklagt und denen die deutsche Staatsangehörigkeit verweigern will, die über keine oder zu geringe Deutschkenntnisse verfügen, schlagen seine politischen Gefolgsleute ganz andere Töne an.

So heißt es etwa im Wahlprogramm der Linken/ PDS: "Wir fordern weiter die Abschaffung von diskriminierenden Sondergesetzen, wie es das Asylbewerberleistungsgesetz oder die Residenzpflicht sind. Hunderttausende Menschen leben illegalisiert in diesem Land. Häufig sind sie Opfer skrupelloser Ausbeutung. Für sie wollen wir die Perspektive eines legalen Aufenthalts schaffen". Und weiter: "Eine neue Asyl- und Migrationspolitik muß Abschied nehmen von der gescheiterten rigorosen Abschottungspolitik, die nicht nur an den Außengrenzen der EU das Leben von Flüchtlingen in Gefahr bringt, sondern auch in den Mitgliedsstaaten viele Menschen in die Illegalität drängt."

Bei der WASG werden ähnliche Forderungen erhoben: Es reiche nicht, wenn sich deutsche Wirtschaft, Sozialversicherungssysteme, Bevölkerung und Politik zu einem Einwanderungsland bekennen würden. "Was wir brauchen, das ist eine staatlich initiierte, gestützte, beteiligungsorientierte und aktiv vorangetriebene Integrations-, Zuwanderungs- und Minderheitenpolitik", sind die WASG-Funktionäre überzeugt. Die Partei trete dafür ein, daß Zeitpunkt, Richtung und Umfang der Einwanderung nicht nur nach den Bedürfnissen der kapitalistischen Metropolen verlaufe. "Wir wollen eine Gesellschaft, in der die eingewanderten Menschen die gleichen Lebens- und Beschäftigungschancen bekommen wie die einheimische Bevölkerung."

Und während Oskar Lafontaine in seinem Buch den Wert der Nation entdeckt hat, sich um die Identität Europas sorgt und den amerikanischen "melting pot" für gescheitert erachtet, schlägt die WASG etwas andere Töne an: "Integration ist mehr als der Erwerb von Sprachkenntnissen. Spracherwerb ist zwar der Schlüssel für Integration. Integration ist aber vor allem umfassende Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen und betrieblichen Leben." Die bisherige nationalstaatliche Regulierung von Zuwanderung sei alles andere als integrationsorientiert gewesen. Die Einwanderer und ihre Familien seien einerseits eine Quelle sozialstaatlicher Verteilungsspielräume und wohlfahrtsstaatlichen Nutzens, andererseits aber sei ihre demokratische Teilhabe in vielen Lebensbereichen beschränkt gewesen.

Die "Migrantenbevölkerung" habe nur geringe Möglichkeiten, auf staatsrechtlich verursachte Benachteiligungen Einfluß zu nehmen. Die Wahlalternative will daher die Chancengleichheit von Einwanderern erhöhen, in dem sie ihnen direkte Beteiligungschancen ermöglicht. Dafür sei es notwendig, daß die soziale Integration als eine gesetzliche Aufgabe definiert und als solche umgesetzt werde.

Zur Steigerung der Chancengleichheit ist nach Ansicht der WASG neben der Gewährung von "politischen Partizipationsrechten", die unmittelbare Beteiligung der Selbstorganisationen der Einwanderer sicherzustellen. Die Partei spricht sich gegen "Formen einer Stellvertreterpolitik" aus und setzte sich für die gezielte Förderung der demokratischen Interessenvertretungen der Zuwanderer ein. "Die Migrantinnen und Migranten werden nach wie vor als Instrumente der Wohlstandssteigerung der Mehrheitsbevölkerung angesehen und stellen in der ökonomischen Krise für viele ein Problem dar", heißt es weiter. Ihnen bleibe die Anerkennung als gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder versagt. Gleichstellung und Gleichberechtigung seien aber Voraussetzungen für eine gelungene Integration. Die Wahlalternative sei daher der Überzeugung, daß "ohne reale und gleichberechtigte Beteiligung von Migrantinnen und Migranten in allen Lebensbereichen eine Integration nicht gelingen kann".

Von der Nation und dem deutschen Volk als "Schicksalsgemeinschaft" (Lafontaine) halten Linkspartei und WASG genausowenig wie von der Begrenzung der Zuwanderung: Das Einwanderungsgesetz "ist geprägt von Abwehr und Ausgrenzung. Menschen, die zu uns kommen, brauchen eine rechtliche Gleichstellung im Rahmen eines demokratischen Einwanderungs- und Niederlassungsrechts." Und: "Wir brauchen keine deutsche Leitkultur" (Linke/PDS).

"Wir brauchen keine deutsche Leitkultur"

Über Aussagen wie jene von den Arbeitsplätze vernichtenden "Fremdarbeitern" fällt die WASG ein scharfes Verdikt: "Integrationsfeindlich sind nicht nur staatliche Regelungsmechanismen, sondern auch und vor allem wohlstandschauvinistische, nationalistische, rechtsextremistische und rassistische Tendenzen, Haltungen und Praktiken in unserer Gesellschaft. Die Wahlalternative wird daher mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln solche Tendenzen und Praktiken in Betrieben, Politik und Gesellschaft bekämpfen." Dem mündigen Bürger bleibt es überlassen, sich unter diesen widersprüchlichen Aussagen die passende herauszusuchen. Ob Lafontaine und Linkspartei/WASG tatsächlich zusammenpassen, ist eine andere Frage.


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