© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Wechselstimmung am Nil
Ägypten: Präsident Mubarak vor erneutem Wahlsieg / Liberaler Kandidat Ajman Nur unter Druck / US-Hilfe in Milliardenhöhe
Curd-Torsten Weick

Pyramiden und der blaue Nil: Ägypten ist ein Synonym für Tourismus. Das sieht auch ein Großteil der Medien so und so richten sie den politischen Blick gen Palästina und Irak. Außer ein Terroranschlag wie am 23. Juli im Badeort Scharm el Scheich lenkt ihn kurzfristig in eine andere Richtung. Dann warnt das Auswärtige Amt die Urlauber vor einer erhöhten Anschlagsgefahr, und VW verzichtet auf einen Start bei der Pharaonen-Rallye. Dabei wollten die Ägypter gerade mit dieser Rallye der Welt ein Zeichen der Stabilität aussenden.

Stabilität, die die Regierung von Husni Mubarak seit 1981 mit harter Hand garantiert. Seitdem herrscht praktisch der Ausnahmezustand. Die Zurückdrängung islamistischer Tendenzen stand und steht hierbei im Mittelpunkt und ließ auch dem kleinsten Schritt zur Demokratisierung nur wenig Raum. Die Risiken für die politische und soziale Stabilität schienen zu hoch, und so zeigte sich die Regierung um den 77jährigen Mubarak und seine alles umspannende Nationaldemokratische Partei (NDP) wenig flexibel - was vor allem bei den Wahlen zum Vorschein trat.

Alle sechs Jahre wurde Mubarak per Referendum im Amt bestätigt - ohne Gegenkandidaten. Eine ernstzunehmende Oppositionspartei gab es auch nicht. Oppositionelle Bestrebungen bekamen schnell die Repression der Notstandsgesetze zu spüren, die westlichen Standards von Demokratie und Menschenrechten Hohn sprechen. "Der Tag muß kommen, an dem das Gesetz Noterlasse ersetzt und eine unabhängige Justiz die Willkür ablöst", so US-Außenministerin Condoleezza Rice Ende Juni.

Am 7. September steht nun die Präsidentschaftswahl an, und es scheint, als würde Mubarak einlenken. Eine Wahlrechtsreform wurde gebilligt, der Wähler hat bei der ersten freien Wahl die Möglichkeit, zwischen mehreren Kandidaten zu entscheiden - jedenfalls auf dem Papier. Dennoch wird Mubarak schon als neu-alter Präsident gehandelt.

Muslimbruderschaft, Liberale und arabische Sozialisten

Fest steht, die Hürden für eine Zulassung sind hoch und lassen Gegenkandidaten kaum eine Chance. So müssen sie einer offiziellen Partei angehören - die Schwierigkeit, überhaupt eine Partei zu gründen, ist enorm. Parteilose Kandidaten brauchen die Unterstützung von mindestens 250 Vertretern des von der NDP beherrschten Ober- und Unterhauses. Nichtsdestotrotz kommt man an Mubaraks prominentesten Herausforderer nicht vorbei. Der bekannte Jurist Ajman Nur gilt als Ägyptens "liberale Stimme" und ist Gründer der Partei Al-Ghad (Morgen). Diese gibt sich offen und modern und spricht von bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechten.

Die Regierung wollte sich nicht vollends undemokratisch präsentieren und gab dem sonst so rigiden Zulassungskomitee grünes Licht. Doch es dauerte nicht lange, und der selbstbewußte Ajman Nur wurde Ende Januar festgenommen. Der Vorwurf: Unterschriftenfälschung bei der Parteigründung. Doch Rice nannte ihn einen "Gefangenen der Freiheit", und so wurde er gegen Kaution freigelassen. Er gilt nun aber in breiten Schichten als "amerikanischer Agent" und ist aufgrund seiner Anklage ein gebranntes Kind. Sein Paß wurde eingezogen und die Parteizeitung verboten.

Doch auch im autoritär regierten Ägypten ist so etwas wie Wechselstimmung zu spüren. Und diese Stimmung hat vielleicht einen Namen: Kifaya ("Genug" - "Es reicht"). Die Protestbewegung vereint höchst unterschiedliche Gruppen wie Al-Ghad, die seit 1954 verbotene, aber geduldete und gut organisierte Muslimbruderschaft oder die arabisch-sozialistischen "Nasseristen". Gemeinsam mit Schriftstellern, Linken, Liberalen oder Anwälten zeigen sie der Allmacht die Stirn und gehen immer öfter auf die Straße - gegen Ausnahmezustand, Korruption und gegen die Unfähigkeit der Staatseliten, die drängenden Probleme (Armut, Bürokratie) zu lösen. Die Regierung ist gewarnt, läßt die Proteste durch Mubaraks Anhänger niederschlagen und fürchtet das Überspringen des revolutionären Funkens.

Derweil versuchen im Hintergrund die USA die Fäden in der Hand zu behalten. Doch das fällt ihnen zunehmend schwerer. Denn wie will man auch auf der einen Seite den Irak demokratisieren, wenn man auf der anderen Seite ein autokratisches System à la Mubarak mit Milliardenhilfen stützt?


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