© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Heiraten hilft sparen
Finanzpolitik: Das Ehegattensplitting nützt auch kinderlosen Paaren / Familiensplitting soll Kinder stärker berücksichtigen
Werner Veith

Nicht nur schwäbische Sparfüchse wissen es schon lange: Heiraten reduziert die Steuerlast er-heblich, wenn ein Partner nicht arbeiten geht oder die Ehegatten unterschiedlich viel verdienen. Erzielt der Ehemann beispielsweise 50.000 Euro Bruttoeinkommen und die Ehefrau bleibt zu Hause (siehe Graphik), dann ist der Trauschein besonders lukrativ.

Möchte der Mann seine Steuer individuell bezahlen, indem er Steuerklasse IV wählt, dann werden 14.400 Euro fällig (Stand 2003, die aktuelle Steuerlast kalkuliert ein Internet-Rechner unter www.steuern-online.de/rechner/ ). Läßt sich das Ehepaar dagegen zusammen veranlagen (Steuerklasse III und IV), dann beläuft sich das Steueropfer auf 9.514 Euro. Bei der Zusammenveranlagung wird das gemeinsame Einkommen durch zwei geteilt ("gesplittet"), entsprechend der Basis-Steuertabelle abgerechnet und dann wieder mit zwei multipliziert. Ursache für die Steuerdifferenz sind die scharfe Steuerprogression und die Freibeträge pro Person.

1958 beschloß der Bundestag das Ehegattensplitting, das auf die Haushaltsbesteuerung in der Weimarer Republik zurückgeht. Umstritten war das Steuermodell schon immer. Eine gemeinsame Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Hans-Böckler-Stiftung kritisiert das Ehegattensplitting, weil es die Berufstätigkeit von Ehefrauen behindere: "Ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert. Der Mann geht arbeiten, und die Frau versorgt die Kinder."

Vom Ehegattensplitting profitierten zuallererst Spitzenverdiener. Durch Abschaffung des Eheprivilegs würden jährlich bis zu acht Milliarden in die Staatskasse fließen. Die umfangreiche Untersuchung "Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren" plädiert für eine individuelle Besteuerung.

Und in der Tat spricht einiges dagegen, lediglich Ehegatten steuerlich zu begünstigen, wenn immer mehr Ehen faktisch kinderlos bleiben (siehe JF 34/05) - das war zu Zeiten von Bundeskanzler Konrad Adenauer noch ganz anders. Radikaler argumentiert Jürgen Borchert, Sozialrichter in Darmstadt: Familien werden "unter völliger Vernachlässigung des Grundsatzes der Bemessung an Leistungsfähigkeit belastet", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Netto bleibe einem Ledigen 18.049 Euro, wenn er brutto 30.000 Euro verdiene. "Zieht man davon das Existenzminimum für Erwachsene ab - derzeit 7.664 Euro -, bleiben 10.385 Euro frei verfügbar. Bei einer vierköpfigen Familie bleiben vom gleichen Bruttoeinkommen einschließlich des Kindergeldes netto zunächst 25.672 Euro."

Doch nach Abzug des Existenzminimums für die Erwachsenen und die Kinder und nach Abzug des Ausbildungs- und Betreuungsfreibetrages verfüge die vierköpfige Familie über ein Einkommen von minus 1.272 Euro.

Deshalb plädieren einige Fachleute und Politiker für ein Familiensplitting - in der beschriebenen vierköpfigen Musterfamilie müßte das Einkommen durch vier geteilt werden. 30.000 Euro Familieneinkommen ergebe bei Splittingfaktor vier ein Pro-Kop-Einkommen von 7.500 Euro. Somit wäre die Familie gänzlich von der Steuer befreit, wie ein Blick in die aktuelle Steuertabelle zeigt.

Soweit geht bis jetzt noch kein Gesetzgeber in Europa. Einige europäische Länder verteilen das Familieneinkommen aber bereits auf die Zahl der Familienköpfe. In Frankreich werden die ersten beiden Kinder mit jeweils 0,5 berücksichtigt, erst ab dem dritten Kind erhöht jedes Kind den Splittingfaktor um eins. Bescheidener geht es im Schweizer Kanton Waadt zu. Da erzielt jedes Kind den Splittingfaktor 0,2. Ob die Regelung die Gebärfreudigkeit der Frauen in dem französichsprachigen Kanton steigert, konnte Philipp Meury, Experte im Berner Finanzministerium, noch nicht beobachten.

Festzuhalten bleibt: Beim Modell Familiensplitting ist der Anknüpfungspunkt das Zusammenleben eines Paares mit Kindern und Jugendlichen in einem Haushalt. Dieser Haushalt wird als Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft gesehen und entsprechend besteuert. Am 3. April 2001 stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Pflegeversicherung fest, daß unser Abgabensystem die Familie überproportional belaste und den Grundsatz der Leistungsfähigkeit völlig vernachlässige. Die Reaktion der Politik: Der Bundestag beschließt für die gesetzliche Pflegeversicherung eine Beitragserhöhung um einen Viertelprozentpunkt für Kinderlose. Sozialrichter Borchert lakonisch: Die Politik stelle sich taub. "Was als Antwort auf den Verfassungsauftrag mit der Pflegeversicherungsnovelle am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, ist eine Verhöhnung des Verfassungsauftrages."

In Wahlkampfprogrammen ist das Familiensplitting derzeit kein großes Thema. Lediglich der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) plädierte im Januar 2005 für dieses neue Steuerkonzept. Zur Zeit aktiviert der Wahlkampf konventionelle Instrumente für kinderreiche Familien: Kindergeld, Erziehungsgeld, steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuung, höhere Freibeträge für Familien.

Beim Thema Ehegattensplitting sieht es schon anders aus. Die SPD verteidigt (noch) das Ehegattensplitting, genauso wie Union und FDP. Grüne und Linkspartei wollen es abschaffen. In Fachkreisen werden allein elf Reformvorschläge diskutiert. Der Steuerexperte im "Kompetenzteam" von Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel, Paul Kirchhof, will das Ehegattensplitting ebenfalls erhalten - in vereinfachter Form und ergänzt um ein erhöhtes Kindergeld.


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