© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Zeitschriftenkritik: wagnerspectrum
Brückenbauer
Andreas Strittmatter

Die Herausgeber haben sich viel vorgenommen: eine neue, zweimal jährlich erscheinende und interdisziplinäre Zeitschrift zu Wagner, Werk und Wirken. Das wagnerspectrum betitelte Organ soll wissenschaftlichen Ansprüchen mehr als nur genügen und zugleich hinreichend Bodenhaftung besitzen, damit auch das breite Publikum am Büchertisch im Opernhaus beherzt zugreife. Zudem soll eine Brücke zwischen anglo-amerikanischer und deutscher Wagner-Forschung gebaut werden; entsprechend finden sich einige Beiträge in englischer Sprache. Nicht zuletzt will die Zeitschrift auch die breitere Rezeption von Aufsätzen fördern, die bisher in eher entlegenen Winkeln des Wissenschaftsbetriebes publiziert worden sind, und sie will Orientierung in der Fülle der Wagner-Literatur schaffen.

Pünktlich zu den Bayreuther Festspielen kam wagnerspectrum nun erstmals auf den Markt und schließt sich mit einem ersten Schwerpunkt den Bayreuther Umtrieben an: Passend zum Spielplan mit Neuinszenierung steht "Tristan und Isolde" im Mittelpunkt. Tiefenpsychologisches über die "Macht der Liebe und die Ohnmacht der Liebenden" aus der Feder von Wulf-Volker Lindner fehlt ebensowenig wie eine Abhandlung über den "zagen" Helden Tristan, in der Katharina Wesselmann einem demontierten Heldenbild mit Blick auf die Antike nachspürt.

Eher musikwissenschaftlich kommt ein Beitrag von Jean-Jacques Nattiez daher, der das Solo für Englisch-Horn am Ende des Vorspiels zum dritten Tristan-Akt unter die Lupe nimmt und darin einen musikalisch besonders bezeichnenden Ausdruck Schopenhauerscher Philosophie entdecken will. Derweil bereitet der Germanist Volker Mertens den "Tristanstoff in der europäischen Literatur" und der Jurist Heiner Lück die - etwas trockene - Frage nach "Lehnrecht und Ehebruch" auf.

Erhellend sind die Ausführungen von Annette Förger über das gespaltene Verhältnis von Hans Werner Henze zu Richard Wagner: Der Text weckt zudem Lust auf die Bearbeitungen Wagnerschen Liedschaffens durch einen zeitgenössischen Komponisten, der sich stets klar zu den emotionalen Werten der Tonkunst bekannt hat und in dessen Werk der Einfluß der Tristan-Musik immer wieder hörbar ist. Jeweils ein Überblick über die Aufführungstradition in England und in den Vereinigten Staaten runden zusammen mit einer kommentierten Tristan-Diskographie (an der allerdings die vor einigen Monaten bei der Firma Naxos erschienene Neuaufnahme spurlos vorbeigegangen ist) das Schwerpunktthema ab.

Ansonsten entlarvt Herausgeber Udo Bermbach Christoph Schlingensiefs siechen Bayreuther "Parsifal" als einen sich via Beliebigkeit jedweder Werkanalyse entziehenden Rückfall in Zeiten, als das Bühnenweihfestspiel zum Kult deklariert wurde. Die Mezzosopranistin Waltraud Meier äußert sich im Gespräch mit Jens Malte Fischer über Stationen und Herausforderungen ihrer Karriere im schweren Wagner-Fach.

Der etwas magere Rezensionsteil läßt hingegen vor allem bei den Themen Buch und Tonträger noch manchen Wunsch offen.

wagnerspectrum erscheint im Verlag Königshausen & Neumann und ist vor allem im Buchhandel erhältlich (ISBN 3-8260-2786-8). Der Band kostet 16,80 Euro.


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