© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Wahlkampf
Schröder in der Zwickmühle
Dieter Stein

Eine der höchsten Einschaltquoten der letzten Jahre erreichte die Gesprächsrunde von Sabine Christiansen am vergangenen Sonntag. So langweilig der Wahlkampf weitgehend immer noch ist, hier fesselte ein Streitgespräch über sechs Millionen Zuschauer. Nicht Schröder war gekommen, auch nicht Frau Merkel. Mit Oskar Lafontaine und Friedrich Merz traten sich zwei scharfe Antipoden der deutschen Politik gegenüber. Die Gegensätze konnte man mit Händen greifen: hier der radikale Marktwirtschaftler Merz, dort der radikale Staatsinterventionist Lafontaine. Am Schluß verließ keiner als Geschlagener das Feld, jedoch machte Merz eindeutig mehr Punkte. Es waren zwei Kontrahenten, die sich in der Sache bekämpften und nicht versuchten, einander über Persönliches herabzusetzen. Die Unterschiede wurden nicht durch schaumige Abschwächungen verkleistert, sondern kontrastreich herausgearbeitet. Kurz: eine Sternstunde dieses Wahlkampfes.

Immer mehr Anhänger der Unionsparteien rätseln, weshalb Angela Merkel diesen blitzgescheiten und scharfen Rhetoriker Merz hat in der politischen Versenkung verschwinden lassen. Wenn die Kanzlerin in spe Führungsstärke besitzt, denn holt sie Merz wieder in die erste Reihe zurück.

Das Duell Merz/Lafontaine machte aber auch noch eines deutlich: Schröders Kalkül, durch eine Personalisierung des Wahlkampfes und die Zuspitzung auf ein Duell allein mit der Herausfordererin der Union als Dompteur der (vor allem elektronischen) Medien noch einmal einen Sieg davonzutragen, hat sich bereits in Luft aufgelöst. Oskar Lafontaine ist der erste und letzte Nagel in seinem politischen Sarg. Der SPD-Vorsitzende, unter dem der Wechsel von Kohl zu Schröder erkämpft wurde, der kurz nach dem Start von Rot-Grün das Handtuch warf und nun als Frontmann einer Furore machenden "Linkspartei" Arm in Arm mit Gregor Gysi in den Ring zurückkehrt, ist die Inkarnation des Scheiterns von Gerhard Schröder. Es gibt kein Duell Schröder/Merkel. Es gibt einen Zweifrontenkrieg der SPD mit ihrem alten Parteichef Lafontaine auf der einen und einer uneinholbar vorne liegenden Union auf der anderen Seite. Im Grunde stellen Linkspartei und Union - wie dies im Streitgespräch zwischen Merz und Lafontaine bei Christiansen deutlich wurde - die beiden wesentlichen Alternativen am 18. September dar. Schröder wird zwischen dieser Zangenbewegung erdrückt. Insofern war Merkel richtig beraten, nur ein Fernsehduell gegen Schröder anzunehmen, um den Aspekt der Personalisierung - die im Interesse Schröders liegt - aus dem Wahlkampf zurückzudrängen.

Wir steuern also auf einen Sieg der Union und eine kapitale Niederlage Schröders zu. Doch was wird kommen? Reicht es für Schwarz-Gelb? Kommt doch eine Große Koalition? Und was dann? Die Visionen Kirchhofs beflügeln viele Bürger, die sich danach sehnen, daß die festgefressenen Bremsen des finanz- und wirtschaftspolitischen Stillstands gelöst werden. Doch wo wird die Auseinandersetzung um Werte geführt? Wird Merkel mehr als eine technokratische Wende bieten? Viele bezweifeln dies und sind aus Erfahrung skeptisch.


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