© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Zeitschriftenkritik: Rabenflug
Das Innere, das Geistige, das Herz
Werner Norden

Die 28. Ausgabe der seit 1991 halbjährlich erscheinenden Kulturzeitschrift Rabenflug - Untertitel: "Literatur - Kunst - Geschichte" - stellt wieder Gedichte, Kurzprosa und Essays sowie Bücher vor. Die Zeitschrift will Gegenwartsdichtung und frühere Literatur zueinander in Bezug setzen, neue Texte und auch die Sprache vergangener Kultur werden gegenübergestellt. In jeder Ausgabe wird ein Schwerpunkt angestrebt, so soll beispielsweise eine Autorin oder ein Autor vorgestellt werden, deren Werke im hektischen modernen Literatur- und Kulturbetrieb oft zu Unrecht aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und damit der Leser verschwunden sind. Im aktuellen Heft sind das Felix Hartlaub und Martin Gumpert.

Zunächst aber untersucht Ernst R. Hauschka "Einige Grundwerte in Adalbert Stifters 'Studien'". Nicht die Welt Stifters, nämlich die Gedanken- und Ideenwelt des 19. Jahrhunderts, sei "die Vorstellungswelt geworden, die uns heute umgibt, die wir täglich einatmen". Statt dessen würden wir durchdrungen von anderen Geistern, die das 19. und 20. Jahrhundert geprägt haben: Arthur Schopenhauer ("Glück und Lust sind nichts als Täuschung"), Friedrich Nietzsche ("Der Krieg und der Mut haben mehr größere Dinge getan als die Nächstenliebe") oder Karl Marx ("Das Herz der Emanzipation ist das Proletariat").

Für Stifter gelten hingegen andere Werte: die Hinwendung zu Gott; Gehorsam und vor allem Demut besitzen eindeutig Vorrang. Kein Religionsbuch und keine Kirchenzeitung würde es heute noch wagen, Sätze wie diesen abzudrucken: "Sie führte ihn zu dem Weihwasser an der Tür, bespritzte ihn mit ein paar Tropfen, machte ihm das Zeichen des Kreuzes auf Stirn, Mund und Brust und sagte: So, mein Kind, gehe jetzt ruhig fort. Sei gut, wie du bisher gewesen bist, und behalte das weiche, sanfte Herz. Gott wird deine Wege schon segnen, die du gehst, weil du stets so folgsam gewesen bist."

Konfliktforschung, Fäkaliensprache, Zuhälterdramen sind uns heute geläufig, Stifter waren sie so fremd wie die "kritische Reflexion von Glaubensfragen, die ambivalente Problematik des Gehorsams, die existentielle Notwendigkeit die Dinge kausal-analytisch zu hinterfragen". Die Kunst betrachtete Stifter als die "irdische Schwester der Religion, die uns auch heiligt, und wenn wir ein Herz haben, sie zu vernehmen, werden wir erhoben". Seine Vorstellung vom Glück war meilenweit entfernt von denen unserer Zeit, schreibt der Autor. Sie lag "nicht im Geld, im Fortschritt, im Mehr-Verdienen, in einer emanzipatorischen Freizeitgestaltung, einer sicheren Rente". Auf das Innere, auf das Geistige, auf das Herz kam es ihm an. Was würde er heute zu unserer Zeit sagen?

Jochen Kleppers Essay "Der König und die Stillen im Land" zeichnet ein Bild von Friedrich Wilhelm und beschreibt darüber hinaus, was Preußen war: "der gelungene Versuch, den Menschen in einen ihm gemäßen Rahmen zu stellen, gegen eine restlos libertäre und ausgedeutete Welt" (Evelyn v. Bonin).

Eine besondere Erwähnung verdient auch noch Evelyn Matthieß von Bonins schöne Erzählung "Waldgängerkinder".

Anschrift: Evelyn von Bonin. Herminenstr. 7, 65191 Wiesbaden. Einzelpreis 3,20 Euro. Jahresabo 6,30 Euro. Internet: www.zeitschrift-rabenflug.de


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