© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Nachts in der Kleinstadt
Mittelmaß: Greg Marcks' Filmdebüt "11:14 - elevenfourteen"
Claus-M. Wolfschlag

Junge Regisseure verwenden gern das Stilmittel der chronologisch rückwärts erzählten Geschichte. Gerade für Genrefilme, die mit Überraschungseffekten spielen wollen, bietet dies ungeheure dramaturgische Möglichkeiten. Der Zuschauer kann erst in die Irre geleitet werden, um dann sehr einfach die wahren Ursachen des Geschehens präsentiert zu bekommen. Die Vorurteile des Betrachters können so durch einen Blick in die Vorgeschichte der Personen dekonstruiert werden. Das Ganze fordert das Auffassungsvermögen des Publikums heraus und präsentiert zugleich eine philosophische Botschaft: Das wirkliche Verständnis der Gegenwart liegt in der Vergangenheit. Jede Aktion ist nur eine Reaktion auf eine vorangegangene Aktion. Und, so kann der Kunstkritiker anfügen, jeder Stil führt zu einer großen Zahl an Kopien, besseren wie schlechteren.

Greg Marcks' Debütfilm "11:14" gehört zu den eher mittelmäßigen Produkten der roll back-Technik. Er schildert dreißig Minuten einer Nacht in einer amerikanischen Kleinstadt, in denen lauter skurrile Ereignisse passieren, die sich dem Betrachter erst langsam erschließen, um am Ende Aufklärung zu erfahren.

Alles beginnt mit einem angetrunkenen Autofahrer (Henry Thomas), der nachts allein auf einer kaum befahrenen Straße unterwegs ist. Plötzlich fällt ihm von einer Brücke ein schwerer Gegenstand auf die Motorhaube. Es ist eine entstellte menschliche Leiche. Von Panik ergriffen, da er drei Monate zuvor den Führerschein wegen Trunkenheit verloren hat, versucht er den Vorfall zu vertuschen. Er packt die Leiche in seinen Kofferraum, doch eine Polizeistreife wird auf das demolierte Auto aufmerksam.

Gleich mehrmals stellt Marcks die Uhr zurück: Drei bescheuerte Jugendliche fahren mit ihrem VW-Bus ziellos durch den Ort, bewerfen Windschutzscheiben mit Hamburgern, hantieren mit Feuer und provozieren einen Unfall. Eine Tankstellenangestellte (Hilary Swank) wird von ihrem Kollegen und besten Freund überfallen, der schließlich mit seiner Pistole auf der Straße rumballert. Ein besorgter Vater (Patrick Swayze) sucht seine durchtriebene Tochter (Rachel Leigh Cook). Diese treibt sich derweil auf dem örtlichen Friedhof herum.

Die Handlung wurde in eine Nacht gelegt, die Personen auf eine sehr überschaubare Anzahl reduziert. Man sieht eine leere nächtliche Kleinstadt mit einigen Menschen, die wie Schachfiguren vom Schicksal bewegt werden. Für sich betrachtet ist jeder Geschehensakt eher unverständlich. Nur mit dem Wissen um andere, vorausgegangene oder parallel ablaufende Ereignisse wird er wirklich ergründbar. Jedes Mosaiksteinchen, das eine andere Perspektive ermöglicht, erweitert den überindividuellen Blick. Alle Akteure sind durch Handlungsstränge miteinander verbunden. Ihr Tun bildet ein Puzzle, dessen Endergebnis der große Knall ist.

Der Zuschauer schaut auf die Tragik dieser Menschen wie auf eine Ameisenkolonie, bleibt aber seltsam unberührt. Das liegt daran, daß Greg Marcks, Absolvent der Filmschule der Florida State University, eben nur einen effektheischenden Genre-Thriller drehen wollte, die charakterliche Darstellung seiner Figuren jedoch ausgesprochen dünn bleibt. So bringt auch die Auflösung dieses Chaos am Ende des Films keine wirkliche Erhellung.

Foto: Frank (Patrick Swayze): Jede Aktion ist nur eine Reaktion


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