© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Von Zugpferden und Eintagsfliegen
Parallelen: Wenn sich Geschichte wiederholt, wird Paul Kirchhof doch nicht Finanzminister einer Merkel-Regierung
Thorsten Thaler

Erinnert sich noch jemand an den Namen Jost Stollmann? Der millionenschwere Unternehmer mit der Bilderbuchkarriere war 1998 das Zugpferd in Gerhard Schröders erstem Wahlkampf um die Kanzlerschaft. Im Schattenkabinett war der damals 43jährige parteilose Stollmann (bis 1986 hatte er sogar der CDU angehört) als Wirtschaftsminister vorgesehen. Es war ein geschickter Schachzug Schröders. Stollmann wurde zum bestimmenden Gesprächsthema im Wahlkampf. Er wetterte gegen die im Land herrschende "Vollkaskomentalität", forderte neuen unternehmerischen Mut, warb für die Überwindung von "Blockaden" und trat für umfassende Reformen ein. "Ein dramatischer Umbau in allen gesellschaftlichen Bereichen ist überfällig: im Staatsdienst, im Sozial- und Gesundheitssystem und bei der Bildung", so Stollmann damals wörtlich. Mit ihm konnten sich die Sozialdemokraten wirtschaftliche Reputation und Kompetenz zuschreiben. Die Botschaft an die Wähler war klar: Seht her, wir krempeln die Ärmel hoch und packen's an, mit uns geht es wieder aufwärts.

Die Aufbruchstimmung währte jedoch nicht lange. Nur drei Wochen nach Schröders Wahlsieg kapitulierte Stollmann vor den politischen Alltagsrealitäten und verzichtete - angeblich wegen eines veränderten Ressortzuschnitts - auf einen Posten in der Regierung. Statt seiner wurde der zwar ebenfalls partei-, aber eher farblose RWE-Manager Werner Müller Wirtschaftsminister. Der Zauber des Anfangs war verflogen, noch bevor Schröder seine erste Kabinettssitzung leitete.

Und Angela Merkel heute? Mit dem allseits renommierten Steuerexperten Paul Kirchhof hat sie sich einen Mann an ihre Seite geholt, dessen radikale Reformvorschläge zur Vereinfachung des deutschen Steuerrechts großen Charme ausstrahlen, und zwar weit über die eigene Klientel hinaus. Kirchhofs Steuermodell fasziniert und regt zu Diskussionen an. In einer CDU/CSU/FDP-Regierung unter Merkel soll der ehemalige Verfassungsrichter das Amt des Finanzministers übernehmen. Die Botschaft an die Wähler ist klar: Seht her, wir krempeln die Ärmel hoch und packen's an, mit uns geht es wieder aufwärts.

Klar ist inzwischen aber auch, daß Kirchhofs Modell keine Chance hat, nach der Wahl umgesetzt zu werden. Die Bestimmtheit, mit der Merkel, Wulff und Koch in den letzten Tagen Kirchhof in die Schranken gewiesen und ihn auf später vertröstet haben, mutet wie eine Desavouierung des eigenen Kandidaten an.

Deswegen laufen in Berlin nicht nur unter Journalisten bereits Wetten, daß Paul Kirchhof am Ende doch nicht Finanzminister einer Merkel-Regierung wird.


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