© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Deutschland - das Land der Tabus
Die brisante Studie "Die Mitnehmgesellschaft" wirft Schlaglichter auf systematisch unterdrückte Fakten zur Zuwanderung
Claudia Hansen

Von Konrad Adam stammt der bitterböse Aphorismus, in Deutschland erkenne man die Bedeutung eines politischen Themas daran, daß es heißt, man dürfe darüber im Wahlkampf nicht sprechen. Vier große tabubeladene Fragenkomplexe identifizieren die beiden Journalisten Jochen Kummer und Joachim Schäfer in ihrem nicht ganz treffend betitelten Buch "Die Mitnehmgesellschaft". Es sind dies die Tabus des Patriotismus, der Zuwanderung, des Sozialmißbrauchs und der Ausländerkriminalität. Seit Jahren gibt es zu diesen Themen keine ehrlichen Debatten mehr. Keine offene und lebendige Demokratie, sondern eine von Meinungssoldaten überwachte "Gesinnungsdemokratie" erleben wir. Abweichler von den Vorgaben der "political correctness" (PC) werden diffamiert, mundtot gemacht und schließlich medial vernichtet.

Die in Deutschland gängigen Mechanismen, mit denen die Einhaltung der Tabus und Schweigegebote erzwungen wird, lassen Zweifel bezüglich der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit aufkommen. Etwas überspitzt könnte man sagen: Statt herrschaftsfreiem Dialog gibt es - zumindest bei den genannten Themen - eine dialogfreie Herrschaft der PC. Kummer und Schäfer zitieren beunruhigende Sätze aus einem Interview, das der von der PC-Jagdgesellschaft zur Strecke gebrachte CDU-Präsidentschaftskandidat Steffen Heitmann 1993 gab: "Ich lebte in der irrigen Ansicht, daß wir uns durch die friedliche Revolution und durch die Wiedervereinigung die Meinungsfreiheit erstritten hätten. Ich habe zu spät gesehen, daß es auch im Westen eine wirkliche Meinungsfreiheit nicht gibt."

Es gebe zwar keine offizielle Zensur, so Heitmann, aber ein "unendlich ideologisiertes Meinungsklima". Anhand der langen Reihe der "Fälle" - Jenninger, Heitmann, Walser, Hohmann, Günzel etc. - dokumentieren die Autoren im Kapitel "Patriotismus gegen Gesinnungsdemokratie" die Tabumauer, welche den "Patriotismus" in Deutschland umgibt. Man merkt ihnen das Bedauern an, daß ausgerechnet die Boulevard-Blätter des verstorbenen konservativen und patriotischen Verlegers Axel Springer heute an vorderster Front gegen die PC-Sünder mitschießen. Dieser erste Teil des Buches enthält eine gelungene zeitgeschichtliche Bestandsaufnahme der deutschen Tänze um eine Vergangenheit, die nicht vergeht.

Indes rufen die Herausforderungen der Zukunft. Die existentielle Krise, in der Deutschland steckt, erfordere eine tabulose Sichtung aller Probleme, meinen Kummer und Schäfer. Es steht zu hoffen, daß nach einem Regierungswechsel und unter dem Druck der ökonomischen Zwänge von Massenarbeitslosigkeit, leeren Kassen und kollabierenden Sozialsystemen einige heilige Kühe des Sozial- und Wohlfahrtsstaats ihrer verdienten Schlachtung zugeführt werden. Andere Tabufelder werden unberührt bleiben. In erster Linie betrifft dies den Komplex der weiterhin unkontrollierten Zuwanderung, heute über den sogenannten Familiennachzug, und die damit verbunden Belastung durch Sozialzahlungen und Kriminalität.

Im Kapitel "Asylmißbrauch und Türkenstrom - Die Deutschen werden Fremde im eigenen Land" wird eine akribisch durch Statistiken belegte Analyse der verfehlten deutschen Zuwanderungspolitik präsentiert. Diese Kapitel tragen unverkennbar die Handschrift von Kummer, der über Jahrzehnte als Reporter zu den Schattenseiten der multikulturellen Gesellschaft recherchiert und geschrieben hat, anfangs für den Stern und zuletzt für die Welt am Sonntag. Kummer gilt als einer der besten Kenner der deutschen Einwanderungs- und Integrationsmisere. Seine Thesen belegt er mit haarsträubenden Beispielen, wie ausländische Betrüger und Kriminelle bis hin zu mutmaßlichen islamischen Topterroristen die deutschen Ausländerbehörden und Gerichte an der Nase herumführen.

Die Posse um den terroristischen "Kalifen von Köln" etwa ist noch ungut im Gedächtnis. Abseits des Medieninteresses gibt es aber zahllose ähnlich gelagerte Fälle. Abschiebungen dauern im Extremfall bis zu vierzehn Jahre - wenn besonders zäher Widerstand schließlich nicht doch mit einer Duldung belohnt wird. Im Detail gibt das Buch auch die skandalösen Zusammenhänge der Visa-Affäre wieder und befaßt sich dann mit einem weiteren Tabuthema: "Das Heer der Illegalen im Untergrund". Es sind dies die schwarz eingereisten, nirgends registrierten, unter unwürdigen Bedingungen in Deutschland schuftenden und ausgebeuteten Migranten. Ihre Zahl wird von der Ausländerbeauftragten auf bis zu 1,5 Millionen geschätzt.

In vielen Städten haben sich mittlerweile ethnische Ghettos gebildet, wo sie untertauchen können: Parallelgesellschaften mit eigener Sprache, eigenen Gesetzen und eigener Dynamik. Wo sie mit der (noch) deutschen Mehrheitskultur zusammentreffen, entladen sich oft schwere Spannungen. Erst der Mord am islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh hat die Schweigemauer bröckeln lassen und den Blick auf islamische Parallelgesellschaften freigelegt. Daß das inzwischen auch von linksliberaler Seite nicht mehr bestrittene Scheitern der Integrationspolitik so lange nicht thematisiert wurde, hat zwei Gründe: zum einen die schrankenlose Toleranz der Gutmenschen, zum anderen die Angst der unter den Schattenseiten von Multikulti leidenden Bürger, als "ausländerfeindlich" diffamiert zu werden.

Diesem Vorwurf begegnen die Autoren mit dem Hinweis, daß es gerade auch im Interesse der ehrlichen in Deutschland lebenden und arbeitenden Ausländer liege, Fehlentwicklungen und Mißbräuche zu stoppen. Was im Kapitel "Staatsknete als 'Stütze'" beschrieben wird, sollte auch sie beunruhigen. Während die Quote der Sozialhilfeempfänger unter Deutschen bei 2,9 Prozent liegt, sind es unter den Ausländern 8,4 Prozent. In manchen Kommunen hat dieser Anteil schon erschreckende Höhen von mehr als zwanzig Prozent erreicht. Dem Urteil des CDU-Finanzexperten Friedrich Merz, die Zuwanderung habe "überwiegend in die Sozialsysteme stattgefunden", ist leider nicht zu widersprechen. Fast dreißig Milliarden, so Merz, koste die Zuwanderung ins soziale Netz jährlich allein die Kommunen.

Ein letztes Tabu ist die Ausländerkriminalität. Der Anteil Nicht-Deutscher besonders im Bereich der Organisierten Kriminalität ist mit bis zu 61 Prozent enorm hoch. Wenn der Leser noch weitere Belege für das Scheitern der Zuwanderungs- und Integrationspolitik braucht, erhält er im Kapitel "Ausländerkriminalität - Die Angst vor der Wahrheit" eine faktengesättigte Darstellung. Einzelne Fälle mit schwersten Serienstraftätern, die hier berichtet werden, sind erschütternd. Jeder Polizist ist täglich damit konfrontiert, und viele Bürger wissen aus Erzählungen oder eigenem Erleben, daß die Innere Sicherheit in weit überproportionalem Maß von ausländischen Tätern bedroht ist. Doch die meisten Medien spielen das Thema systematisch herunter. Diese Verharmlosungsstrategie durchbrach Gerhard Schröder 1998 mit einem gezielten "Tabubruch": Seinen markigen Worten an die Adresse krimineller Ausländer ("Raus, und zwar schnell!") folgten aber keine Taten.

Auch im laufenden Wahlkampf sind Sozialmißbrauch und Ausländerkriminalität streng gehütete Tabus. Wer sich mit einem journalistisch flott geschriebenen, fast reportageartigen Buch über alle unbequemen und beschwiegenen Fakten der Ausländerproblematik kundig machen möchte, wird von Kummer und Schäfer kompetent bedient.

Jochen Kummer, Joachim Schäfer: Die Mitnehmgesellschaft. Die Tabus des Sozialstaats. Universitas Verlag, München 2005, 255 Seiten, gebunden, 16,90 Euro

Foto: Reger Betrieb in einer Agentur für Arbeit: Tabus des Patriotismus, der Zuwanderung, des Sozialmißbrauchs und der Ausländerkriminalität


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