© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Pankraz,
K. R. Popper und der Segen der Abwahl

Karl Raimund Popper, der eine Zeitlang als eine Art Staatsphilosoph der BRD gehandelt wurde (bevor Jürgen Habermas diese Funktion übernahm), hielt nicht viel von den demokratischen Prozeduren. Er war für "offene Gesellschaft", für freien Diskurs ohne Tabus, PC und Fünf-Prozent-Klausel, gegen Utopismus, für optimale Polis-Verwaltung, aber nicht für Demokratie. Das Parteiengekungel und das ewige Schielen nach neuesten Umfragewerten garantieren, so Popper, weder Freiheit noch optimale Polis-Verwaltung, eher das Gegenteil.

Freilich, ein demokratischer Mechanismus, ein einziger, war ihm teuer, wog seiner Meinung nach alle Nachteile auf: die Möglichkeit zur Abwahl einer Regierung. Popper war in der Wissenschaftstheorie der große Stratege der "Falsifizierung", d.h. in der andauernden peniblen Kritik gängiger Theoreme, auch wenn sie scheinbar noch so erfolgreich waren, sah er das A und O jeglicher Erkenntnis. Und in der Politik hieß Falsifiziertung nun einmal Abwahl von Regierung. Die Abwahl einer Regierung sei ein Wert an sich, lehrte er, in ihr lägen vorab Lebenserfrischung und politische Weisheit.

Nun werden gute Regierungen, mit denen eine überwältigende Mehrheit richtig zufrieden ist, selten abgewählt, wenn überhaupt. Insofern mußte Popper seinerzeit nicht fürchten, mit seiner Abwahl-Theorie exzellenten Regierungschefs zu nahe zu treten, geschweige denn sie hinterrücks zu falsifizieren. Doch inzwischen haben sich die Zeiten sehr zum schlechteren geändert, zumindest in Deutschland.

Gute Regierungen gibt es hierzulande gar nicht mehr, niemand macht sich mehr Illusionen darüber. Man wählte schon seit langem jeweils nur noch "das kleinere Übel". Und heute, im Jahre 2005, sind die Dinge so beschaffen, daß faktisch kein objektiv gesinnter, ehrlich ums Ganze besorgter Wähler mehr sagen kann, wo das Übel kleiner sei, bei der Regierung oder bei der "Opposition".

Gewiß, die Regierung hat in den letzten sieben Jahren, die sie am Ruder ist, ein wahrhaft gräßliches Tableau angerichtet. Kein einziges ihrer Wahlversprechen hat sie eingehalten, keinen einzigen Arbeitslosen von der Straße gebracht, keine einzige haltbare Perspektive eröffnet. Sie hat Deutschland, einst unter Helmut Kohl wenigstens der allgemeinen Rhetorik nach noch die "Lokomotive Europas", zum "Kranken Mann Europas" gemacht, überwuchert mit schwachsinnigen Bürokratien, eingeschüchtert durch PC-versessene Blockwarte, am Nasenring geführt von zynischen Absahnern.

Daß eine solche Regierung nicht schon nach der ersten Legislaturperiode sang- und klanglos beiseite geräumt werden konnte, war und bleibt ein nationaler Skandal erster Ordnung, und verantwortlich dafür ist die sogenannte "Opposition" der CDU/CSU. Auch im jetzigen Wahlkampf posiert sie wieder als Double für die Regierung, als Über-Übelkrähe und todsichere Garantie dafür, daß ja nichts Unvorhergesehenes passiert und daß die politische Klasse, so wie sie sich in 68er Tagen formiert hat, ja schön unter sich bleiben kann.

Pankraz exponiert sich geradezu, wenn er unter solchen Umständen dennoch Popperianer bleibt und auf der Lehre beharrt, daß die Abwahl einer schlechten Regierung ein Wert an sich ist und den Wählern immer das beste Zeugnis ausstellt. Einerlei, wie schlecht die Opposition ist und was sie nach ihrem Sieg alles anstellen könnte - zunächst gilt mit Sicherheit: Abwählen!

Denn erstens: Eine Abwahl, jede Abwahl, spült allgemeinen Frust weg, macht den politischen Alltag wenigstens zeitweise wieder interessant. Ein angenehmes Gefühl der Spannung stellt sich ein. "Die Neuen" müssen doch irgendwie zeigen, ob sie es tatsächlich "besser" können, wie sie so oft behauptet haben, und das sorgt für Abwechslung und Unterhaltung. Überraschungsgesten und Überraschungsgäste sind nicht gänzlich ausgeschlossen.

Zweitens: Wird auch nicht reinegemacht, so wird doch Staub bewegt, und wie argumentierte schon bei Adolf Glaßbrenner der sprichwörtliche Berliner Kleinrentner, um seinen Besuch in der Hasenheide zu rechtfertigen, wo die preußische Kavallerie staubaufwirbelnde Manöver abhielt? - "Der Stoob alleene is sehenswert". Immerhin gibt es ja auch manche Kehre und Wende zu registrieren. Karrieristen in den Medien ändern ganz plötzlich ihre Rhetorik in Hinblick auf die neuen Machtverhältnisse. Einige andere hingegen entdecken ihr kritisches Potential wieder, das sie sich in den letzten sieben Jahren abgewöhnt hatten. Es ist die Zeit für psychologische Studien.

Drittens: Häufige Abwahlen zehren schlechte politische Klassen aus und ebnen so den Weg für notwendigen Elitenwechsel. Es gibt Pessimisten bzw. Anhänger der legendären "Kreuther Strategie" à la Franz Josef Strauß ("Je schlimmer, desto besser"), die sagen: "Wir brauchen grundsätzlichen Wandel. Die CDU/CSU wird ihn nicht herbeiführen. Sie wird ihn aber beschleunigen, sie wird nämlich noch schneller abwirtschaften als die jetzige Koalition, und dann ist die Zeit für den gründlichen Wandel da."

Noch besser im Sinne der Kreuther Strategie wäre übrigens eine Große Koalition, weil dann beide Großpartner gleichzeitig und im selben Takt abwirtschafteten. Die Zeit bis zur Wende würde dadurch möglicherweise verkürzt.

Was hätte wohl Karl Raimund Popper zu derlei Planspielen im PC-freien Raum gesagt? Pankraz, der ihn seinerzeit kurz vor seinem Tode ausführlich in England interviewt hat, vermutet: Er hätte sie goutiert, wäre voll damit einverstanden gewesen. Wichtig war ihm nicht das Überleben irgendwelcher schlechter Eliten, wichtig war ihm einzig der Weg ins Offene. Gute Regierungen hatten sich seiner Meinung nach nicht an Groß-Utopien auszurichten, hießen sie nun Sozialisierung oder Globalisierung, sondern am Glanz und Glück der eigenen Polis.


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