© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

Einzug oder Absturz
Regierungsbildung: Sollte es Angela Merkel nicht ins Kanzleramt schaffen, steht sie politisch vor dem Aus
Paul Rosen

Die Deutschen müssen sich auf etwas einstellen, was sie sonst nur aus anderen Ländern kennen. Es gibt keine klaren politischen Verhältnisse mehr. Angela Merkel, die schon nach der Macht zu greifen schien, wirkt wie eine Königin ohne Land. Der Kanzlerkandidatin der Union stehen aber noch alle Möglichkeiten offen - vom Einzug ins Kanzleramt bis zum endgültigen Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit. Ihre Partei, die CDU, wirkt wie erstarrt. Solange nicht klar ist, ob Merkel vielleicht doch noch an die Macht kommt, werden ihre parteiinternen Widersacher schweigen. Sollte sie scheitern, bricht der Aufstand los.

Mit 35,2 Prozent war die Union weit hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Selbst die bayerische CSU wurde am letzten Sonntag nicht mehr vom Erfolg verwöhnt. Die Mannen von CSU-Chef Edmund Stoiber stürzten ab, verloren in Bayern fast zehn Prozent und sackten unter die symbolische Marke von 50 Prozent. Die Stoiber-Truppe muß sich auf eine neue Rolle einstellen: Statt drittstärkste politische Kraft in Deutschland ist sie jetzt die kleinste Parlamentspartei. FDP, Grüne und Linkspartei liegen vor der CSU. Das hat für Merkel Konsequenzen. In letzter Zeit konnte sie sich auf Stoiber und die CSU-Landesgruppe verlassen. Sollte sie nicht Kanzlerin werden, dürfte die CSU sich wieder stärker auf Kosten der CDU zu profilieren versuchen.

Nur der Wille zur Macht hält die Union jetzt zusammen und läßt sie zu Merkel stehen, wie sich bei der Wahl zur Fraktionschefin am Dienstag gezeigt hat. Das führt zu der schon fast kuriosen Situation, daß Stoiber den Grünen Angebote macht und sich allen Ernstes eine Koalition von Union, FDP und Grünen vorstellen kann. Günther Beckstein (CSU) und Jürgen Trittin (Grüne) an einem Kabinettstisch: Das kann sich selbst Bayerns Innenminister Beckstein nicht vorstellen. Stoiber und auch viele in der CDU ahnen bereits, daß eine Große Koalition schwierig wird. Dafür müßten sie möglicherweise Merkel opfern, weil die SPD an Kanzler Schröder festhält. Das erklärt die Kapriolen mit dem schwarz-gelb-grünen Bündnis, für das längst die Begriffe "Schwampel" (schwarz-grüne Ampel) oder "Jamaika-Koalition" gefunden wurden.

Die Diskussionen um die Möglichkeiten der Regierungsbildung überdecken die Gründe für die Verluste der Union. Diese liegen nicht bei dem ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof. Der Professor war nicht die Ursache, sondern die Folge des auf dem Leipziger Parteitag vorgenommenen CDU-Kurswechsels in die neoliberale Richtung. Der soziale Flügel stirbt seitdem langsam ab. Schon zu Kohls Zeiten hatte die CDU ihren konservativen Flügel verloren. Kirchhof verstärkte - vermutlich ungewollt - den Eindruck von der sozialen Kälte.

Die Steuerpläne der CDU trieben die Wähler zur SPD

Das chaotische CDU-Wahlkampfmanagement schaffte es nicht, den Professor zu steuern. Die CDU trieb mit ihren steuerlichen Positionen die Arbeitnehmer regelrecht in die Arme der SPD. Wer Nachtarbeits- und Schichtzulagen versteuern will, muß sich nicht wundern, wenn das Ruhrgebiet mit über 50 Prozent SPD wählt.

Auch das Kopfpauschalen-Modell in der Gesundheitspolitik ist viel zu kompliziert, als daß es den Wählern hätte verständlich gemacht werden können. Beim Volk kam nur an, daß die CDU von der Putzfrau und vom Vorstandsvorsitzenden einen gleich hohen Krankenkassenbeitrag kassieren und damit die Reichen entlasten will. Und wer die höhere Mehrwertsteuer partout nicht wollte, sattelte auf FDP um.

Das waren schwere Fehler zum Teil schon lange vor dem Wahlkampf, die allein die Vorsitzende zu verantworten hat, die aus der CDU die modernste Partei Europas machen wollte. Merkel versuchte das mit kalter Wissenschaftlichkeit und vergaß, die Menschen zu überzeugen. Den Jubel hauptamtlicher Funktionäre und Abgeordneter auf Parteitagen setzte sie mit Beifall des Volkes gleich, und aus den letzten Landtagswahlergebnissen schloß sie auf eine Mehrheitsfähigkeit der Union. Dabei war dort Rot-Grün abgestraft worden, und die Macht zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen war wie eine reife Frucht in den Schoß der CDU gefallen.

Die Bundestagswahl hat auch gezeigt, daß Merkel im Süden der Republik nicht vermittelbar ist. So wie Stoiber vor drei Jahren in Bayern und Baden-Württemberg besonders viele Stimmen holte, schnitt Merkel dort jetzt besonders schlecht ab. Hinzu kam aber, daß die Kanzlerkandidatin im Norden keinen Ausgleich erzielen konnte und erst recht nicht in ihrer Heimat, in der ehemaligen DDR.

Punkten kann sie jetzt nur noch, wenn es ihr gelingt, ins Kanzleramt zu kommen. Dann wird ihr die Partei zu Füßen liegen, kann sie doch als Regierungschefin schöne Posten an Parteifreunde verteilen. Für Merkel werden die nächsten Wochen zu einem Überlebenskampf. Sie muß auf Biegen oder Brechen eine Regierungsmehrheit herstellen.

Ihr Widersacher, der amtierende Kanzler Gerhard Schröder, hat es da einfacher. Im Bundestag gibt es eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei. Die Linkspartei hat zwar erklärt, daß sie Schröder nicht mitwählt. Diese Erklärung kann zwei Wahlgänge halten. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit im Bundestag, um den Kanzler zu wählen. Union und FDP haben mehr Stimmen als SPD und Grüne. Bei einer Enthaltung der Linkspartei im dritten Wahlgang wäre Merkel Kanzlerin. Nur soll niemand glauben, daß Lafontaine, Bisky und Gysi durch Enthaltungen Merkel den Weg ins Kanzleramt ebnen. In der Not hält die Linke zusammen und wählt Schröder. Für Merkel würde dann ein qualvoller Abstieg beginnen, der in der Bedeutungslosigkeit enden könnte.


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