© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

Tabuzonen künftiger Siedlungspolitik
Dilemma Fluß: Das Umweltbundesamt diskutierte die Frage "Wasserkraft und Schiffahrt im Einklang mit der Gewässerökologie"
Michael Howanietz

Vor drei Jahren setzen Elbe- und Donauflut weite Teile Deutschlands unter Wasser. Nun Hochwasser in den Alpen, dazu der Hurrikan und die Mississippi-Flut in New Orleans. Es gab Anlaß genug, warum kürzlich Experten im Dessauer Umweltbundesamt (UBA) die Frage diskutierten: "Wasserkraft und Schiffahrt im Einklang mit der Gewässerökologie - eine lösbare Aufgabe?"

Eine deutschlandweite Bestandsaufnahme verdeutlicht, daß ein Großteil der Flüsse und Seen die Umweltziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) derzeit verfehlen würde. In dieser Richtlinie fordert die EU-Kommission von den Mitgliedsstaaten bis 2015 die Erreichung eines "guten ökologischen Zustandes aller Gewässer".

Besonders im Falle der Fließgewässer ergibt sich aus dieser Forderung ein erheblicher Interessenskonflikt mit anderen EU-Vorgaben, etwa dem zum wirtschaftsliberalen Dogma erhobenen "freien Warenverkehr" (JF 36/05). Überdies gelten Wasserstraßen unverändert als "umweltfreundliche Verkehrswege", was vielen diesbezüglichen Bauvorhaben von vornherein das Mäntelchen der Umweltverträglichkeit umhängt. Allerdings unterm Strich zu Unrecht.

Denn erstens ist der Gütertransport auf dem Wasserweg sehr viel langsamer, als auf der Straße - was, in einer Zeit-Strecken-Relation hochgerechnet, nur einen unerheblich geringeren Energieverbrauch bedeutet. Zweitens können klassische Lkw-Frachten oftmals gar nicht auf Schiffstransporte umgelegt werden. Und drittens bedarf es zumeist umfangreicher Eingriffe in Fluß- und Bachläufe, um diese als Transportwege nutzbar zu machen. Die Ökobilanz der Binnenschiffahrt ist - angesichts von Flußregulierungen und Kanalbauten - nicht so positiv wie oft kolportiert.

Schon der erste Diskussionsansatz offenbart die substantielle Problematik: Eine wasserbauliche Maßnahme ist erst dann vorzunehmen, sobald sie für die Schiffahrt wirklich notwendig ist und die Umwelt nicht beeinträchtigt. Zwei gegenläufige Ansprüche, die einander in der Praxis oft widersprechen. Es ist ein kaum erfüllbarer Wunsch, Entwicklungskonzepte für Schiffahrtsstraßen zu erstellen, die ökologische, verkehrliche und wirtschaftliche Aspekte ausgewogen vereinen.

Aus Wasserkraft gewonnene Energie kann nur als "grüner Strom" bezeichnet werden, wenn Wanderfische durch Kraftwerksbauten und Wehranlagen nicht am Erreichen ihrer Laichgebiete gehindert werden. Diese Vorgabe erfüllen nur die wenigsten Wasserkraftwerke in Deutschland, Österreich und der Schweiz, und dann nur dank teurer Fischtreppen. Überdies macht die für die Stromgewinnung erforderliche, dynamische Wasserführung Wartungsarbeiten wie regelmäßige Geröllaufschüttungen notwendig, um Eintiefungen der Flußsohle zu verhindern.

Umlandverbauungen und steigende Niederschläge

Was die in jüngster Zeit vermehrt auftretenden Überschwemmungen betrifft, hat sich die "Kanalisierungsideologie" der Wasserbau- und Schiffahrtsbehörden nicht bewährt. Die durch Uferbegradigungen und Regulierungsmaßnahmen heraufbeschworenen höheren Strömungsgeschwindigkeiten führen im Verein mit großflächigen Umlandverbauungen und steigenden Niederschlagsmengen zu immer verheerenderen Hochwasser-Folgen.

Die Kanalbau-Lobby begründet ihren Protest gegen diese Darstellung unter anderem damit, daß entlang dem besonders naturbelassenen Donaunebenfluß Lech die schlimmsten Überflutungsschäden des ablaufenden Sommers auftraten. Doch Hochwasserschäden können nicht ausschließlich nach Maßgabe von Flußbettverbauungen erhoben werden. Eine ebenso entscheidende Bedeutung kommt dem Umland und der lokalen Ansiedlungspolitik zu. Schäden können nur dort entstehen, wo Schadenanfälliges, ob Wohnhaus oder Wirtschaftsbetrieb, hingebaut wurde.

Das Dilemma liegt auf der Hand. Durchgehend naturbelassene Flüsse sind aus ökonomischen Gründen nicht realistisch, von durchweg verbetonierten Wasserstraßen ist aus ökologischen wie aus Gründen der zu erwartenden wirtschaftlichen Folgeschäden abzuraten. Nichtsdestoweniger muß die gegenständliche Diskussion geführt, ein gemeinsamer Nenner gefunden werden.

Wie immer dieser letztendlich aber lauten mag, wird er eines mit Sicherheit nicht verhindern: künftige Hochwasserschäden. Seit vielen Jahrtausenden siedelt sich der Mensch aus guten Gründen an Flußufern an. Seit ehedem hat er mit Überschwemmungen zu kämpfen. Ob naturbelassen oder verbaut, wird keine noch so innovative Flußbettgestaltung verhindern können, daß Fließgewässer dann und wann über die Ufer treten. Die bestgeeignete Schutzmaßnahme ist deshalb die vorbeugende, und diese kann nur darauf abzielen, besonders sensible Uferabschnitte als Tabuzonen künftiger Siedlungspolitik zu akzeptieren - das sollten speziell die flutgeschädigten Elbe- und Donauanrainer beherzigen.


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