© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

CD: Klassik
Überflüssiges
Jens Knorr

Der Kompositionsschüler Adorno hat die Stellung seines Lehrers Alban Berg zu dessen Lehrer Arnold Schönberg auf die Formel gebracht, "daß dieser Bergs Erfolge beneidete, Berg Schönbergs Mißerfolge". Einmal jedoch hat Schönberg sensationellen Erfolg gehabt, und zwar mit der Uraufführung seiner "Gurrelieder" unter Franz Schreker 1913 im Wiener Großen Musikvereinssaal - ein Erfolg freilich von durchschlagender Wirkungslosigkeit.

Zu der Vorbereitungsarbeit, die größtenteils Berg übernommen hatte, kamen die Erstellung einer Werkeinführung, die sich auf einhundert Seiten auswuchs und wiederum die Erstellung einer Kurzfassung nötig machte, sowie die des Klavierauszugs hinzu. Daran arbeitete Berg über ein Jahr lang, hatte er doch eine Partitur für ein Orchester von an die 150 Musikern, dabei je 25 Holz- und Blechbläser, so zu reduzieren, daß zwei Hände sie spielen können und der kompositorische Verlauf trotzdem immer nachvollziehbar bleibt.

Um den Gedanken zu halten, mußte sich Berg einigemal vom Text der Schönbergschen Partitur entfernen, ohne daß er dabei künstlerische Eigenständigkeit angestrebt hätte, sollte doch der Klavierauszug den Ausführenden lediglich als Probenhilfe und den Hörern zu Vor- und Nachbereitung des Konzerts am heimischen Klavier dienen.

Auf ihrem Weg zu einer kammermusikalischen Bearbeitung der Partitur haben Cellist Martin Hopffgarten und Pianist Clemens Kröger, zusammen als Duo Sarasate unterwegs, den Umweg über den Klavierauszug von Berg genommen. So sehr einige ihrer Detaillösungen auch zu interessieren vermögen: Die vielgestaltigen Stimmen und Stimmungen der Riesen-Partitur, die gedruckt immerhin einen halben Meter hoch ist, sind auf einem Cello und zwei Klavieren allein nicht darstellbar. Der Verschnitt ist nicht besser als das Original, sondern schlechter, nicht reicher, sondern ärmer. Er ist überflüssig. (Antes Edition BM-CD 14.9006)

Denn es ist ja nicht allein die Geschichte von der geheimen Liebe des Königs Waldemar zu Tovelille in Gurre zu erzählen, von der Eifersucht der Königin Helwig, die Tove ermorden läßt, von dem Totenzug des Königs, der sich gegen seinen Gott empört und fortan Nacht für Nacht mit seinen Mannen, als Untoter unter Untoten, zur wilden Jagd treibt, vom morgendlichen Vergehen des Spuks mit des Sommerwindes wilder Jagd, der die Natur zu neuem Leben und neuer Liebe erweckt - die individuelle Geschichte, wie sie der Gedichtzyklus des dänischen Dichters Jens Peter Jacobsen erzählt.

Es ist darüber hinaus ein Hauptgedanke aufzufinden, ein Hauptgedanke als Keimzelle des sich entfaltenden musikalischen Ganzen, das eine Grenze berührt und überschreitet, diesseits derer nicht mehr diatonisch ausgedrückt werden kann, was nach Ausdruck verlangt. Es ist also die Entwicklung des Schönbergschen Komponierens vom Beginn der Arbeit an der Partitur 1900 bis zu ihrer Fertigstellung 1911, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, hörbar zu machen.

Doch selbst noch ihr avanciertestes Stück, das dem Sonnenhymnus vorausgehende Melodram "Des Sommerwindes wilde Jagd", kommt bieder wie das musikalische Beiprogramm einer Vernissage einher, zumal sich Sprecher Michael Ransburg weder an den vorgeschriebenen Sprechrhythmus hält noch die festgelegten Notenhöhen im Sinne Schönbergs als "Lagenunterschiede" versteht!

Die Bearbeitung des Duos Sarasate mag zu den 28 Farbradierungen des Graphikers und Bildhauers Ernst von Hopffgarten, des Vaters des Cellisten, passen, auf dessen Anregung hin sie entstand. Zu Arnold Schönbergs "Gurreliedern" paßt sie nicht. So oder so: Zu Neid besteht kein Anlaß.


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