© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

Frisch gepresst

Preußische Reformen. Ohne das Verwaltung, Militär, Wirtschaft betreffende "Reformpaket", das der Freiherr vom Stein nach dem preußischen Zusammenbruch von 1806 schnürte, wäre die Befreiung vom napoleonischen Joch wohl kaum gelungen. So jedenfalls eine bis heute gültige Forschungsmeinung. Dieses Urteil mußte sich allerdings auch zahlreiche Einschränkungen gefallen lassen, etwa den sozialhistorisch fundierten Einwand, daß die Folgen der Reformen die Bevölkerung zwischen 1810 und 1812 noch gar nicht erfaßt hatten, daß vielmehr die alltäglich spürbaren Nöte und Drangsalierungen die Massen zur Erhebung gegen die französischen Besatzer mobilisierte. Von solchen die "konventionelle" Geschichtsschreibung lange beschäftigenden Fragen führt die Münsteraner Habilitationsschrift von Stefan Haas weit weg. Ganz der kulturwissenschaftlichen Wende seines Faches verschworen, untersucht Haas, wie die Reformen bis zur 1848er Revolution umgesetzt, wie sie von den Realitäten modizifiert, wie nicht nur die Reformen unter dem Druck der Realitäten verändert, sondern sich auch der Habitus der Reformer wandelte, wie daraus eine "neue Kultur der Verwaltung" entstanden ist (Die Kultur der Verwaltung. Die Umsetzung der preußischen Reformen 1800 - 1848. Campus Verlag, Frankfurt 2005, 479 Seiten, broschiert, 45 Euro).

Baltischer Literaturraum. "Europäische Dimensionen deutschbaltischer Literatur" aufzeigen: Das verspricht der sechste, wieder von Frank-Lothar Kroll herausgegebene Band in der Reihe "Literarische Landschaften" (Duncker &Humblot, Berlin 2005, 252 Seiten, 32 Euro). Dieser Zielsetzung werden, nach einer etwas flüchtigen Einleitung von Otto-Heinrich Elias über den "baltischen Raum als europäische Geschichts- und Kulturlandschaft", vor allem die Aufsätze zur Literaturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts gerecht. Je weiter man ins zwanzigste Jahrhundert voranschreitet, zu Siegfried von Vegesack (1888-1974), zu Frank Thiess (1896-1977) und zum "inneren Emigranten" Werner Bergengruen (1892-1964), dem sich gleich vier Beiträger widmen und der dadurch den Mittelpunkt des Bandes bildet, je mehr gehen diese europäischen Kontexte leider verloren. Völlig quer zu Themenstellung, aber ein Lesevergnügen erster Güte bietend, liegen die Erinnerungen des Journalisten Bernd Nielsen-Stokkebye: "Eine Jugend in Estland".


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