© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

Schrumpfendes Land mit wachsenden Ambitionen
Die Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke und Thomas Speckmann über die Irrwege Berliner Weltfriedenspolitik
Oliver Busch

Als Joseph Fischer 1998 ins Auswärtige Amt einzog, ließ er das Porträt Bismarcks aus seinem Dienstzimmer entfernen. Nun, kurz vor dem voraussichtlichen Ende seiner Amtszeit, scheint ihn der Schatten des Riesen aus dem Sachsenwald einzuholen. Ausgerechnet der selbsternannte Weltfriedenspolitiker Fischer, Arm in Arm mit seinem schneidigen Kanzler, figuriert dieser Tage in politikwissenschaftlichen Bilanzen der rot-grünen Ära als Exponent eines "neudeutschen Wilhelminismus", gar als Verfechter "wilhelminischer Abenteuerpolitik".

Mit der historischen Wahrheit nehmen es die Bonner Politologen und eifernden "Atlantiker" Christian Hacke und Thomas Speckmann dabei nicht so genau, wie ihre Beiträge für die Internationale Politik (IP, 8/2005) belegen. Trieb auch der "Wilhelminer" Bismarck "Abenteuerpolitik"? Oder begann das "Abenteuer" erst mit dem "neuen Kurs" unter Wilhelm II., was aber angesichts der skrupulösen Politik etwa eines Bethmann-Hollweg auch nicht recht einleuchtet? Gerade ein windschnittiger Vielschreiber wie der junge Speckmann darf sich aber mit solchen Quisquilien nicht aufhalten, will er weiterhin Welt, Merkur oder eben IP beliefern, das Organ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, wo Friedbert Pflüger und Friede Springer im Gesamtpräsidium, David Kamentzky von Goldman, Sachs&Co und Gary Smith von der Berliner American Academy im Beirat sitzen. Keine Geschichtsfälschung scheuend, leitet Speckmann seine Abrechnung mit der rot-grünen Außenpolitik darum apodiktisch trötend ein: "Deutschland hat zwei Weltkriege begonnen ..."

Anders als Hacke, dessen Scherbengericht der auf den Sicherheitsratssitz fixierten rot-grünen UN-Politik gilt, widmet Speckmann sich dem "grand design" der Planungsstäbe im AA und im Kanzleramt. Wenn es dort seit dem Kosovo-Krieg überhaupt eine weltpolitisch ambitionierte Gesamtstrategie gegeben habe, dann hätten Schröder und Fischer die Bundesrepublik als "Friedensmacht" im Konzert der Mächte des 21. Jahrhunderts etablieren wollen. Wie weit dieser Anspruch, mit der zwischen Berlin und Paris bestehenden und womöglich nach Moskau zu verlängernden "Achse des Guten" den "bösen" US-Unilateralismus eindämmen zu können, mit den Realitäten kollidierte, kann Speckmann immerhin anschaulich darstellen. Der zentrale Planungsfehler in der Berliner Konzeption bestehe darin, daß die deutschen Wunsch-Achsenpartner in Paris und Moskau weiterhin klassische Großmachtpolitik treiben und sich ideologisch verbrämten, schwammigen Weltfriedensmissionen verweigern. Hacke ergänzt mit dem schwerwiegenden Hinweis auf die fehlenden Ressourcen: Deutschland sei angesichts wirtschaftlicher, demographischer und politischer Probleme ein "Staat von gestern", ein "schrumpfendes Land mit wachsenden Ambitionen" und eben deshalb nichts weiter als ein "moralisierender Besserwisser ohne jede Machtstrategie".

Die Alternative ist die USA, das wahre "Reich des Guten"

Im übrigen, so Speckmann, dürfe Deutschland nicht einmal moralisch die Muskeln spielen lassen. Es sei keine friedliche Unschuld. Ein weltweites militärisches Engagement spreche eine andere Sprache. Ungeniert streben Deutsche und Franzosen auch auf eine rüstungspolitische Kooperation mit dem "autoritären Regime" Pekings zu, Taiwan, die "einzige chinesische Demokratie", im Stich lassend. Ungeachtet des nordkoreanischen Atomprogramms hätten Deutsche unter dem Dach Brüssels in Pjöngjang eine Handelskammer eröffnet. Der von einer kommunistischen Diktatur von Kim Jong Il beherrschte nordkoreanische Markt wiege im Zweifel eben schwerer als "Menschenrechte". Wenig zur Vorreiterrolle für Frieden und Demokratie passe auch die erquickliche Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit arabischen und russischen Partnerdiensten, die im Kampf gegen das Geflecht von Terrorismus, Drogenhandel und Waffenschiebung nicht auf die Folter als Verhörmethode verzichten wollen. Überhaupt die Nähe zu Putin: Wo blieben eigentlich die friedensbewegten Demonstrationen unter dem Motto "Kein Blut für Erdgas"?

Der Schulterschluß mit dem Verantwortlichen für die "russische Vergewaltigung des tschetschenischen Volkes" offenbare am deutlichsten, wohin inzwischen Schröders "deutscher Weg" in die Weltpolitik geführt habe: Der Kanzler wende sich "mehr und mehr" Staaten zu, "die westliche Normen in Fragen von Demokratie und Menschenrechten ablehnen". Mit Folge zunehmender Abhängigkeit Deutschlands vor allem auf dem Energiesektor. Liefere Rußland doch heute schon dreißig bis vierzig Prozent des deutschen Erdöl- und Erdgasbedarfs.

Als Alternative dazu empfiehlt Speckmann sich dem "zeitweiligen Imperialismus" der USA, dem wahren "Reich des Guten" (Lothar Rühl), unterzuordnen, da allein die Politik Washingtons die "unabdingbare Bedingung für Demokratie" biete. Daß diese "Zeitweiligkeit" nun schon hundert Jahre währt und es mit demokratischen Strukturen unter US-Ägide noch stets gehapert hat, ficht den alerten Speckmann nicht an, wenn er den neuen Chefs in Kanzleramt und AA empfiehlt, von Japan zu lernen und sich wie Tokio mit einer einträglichen Juniorpartnerschaft im "modernen Imperialismus" Washingtons zu begnügen.


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