© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Komplott nicht ausgeschlossen
CDU: Kampf um die Macht / Koch, Wulff und Merz in Lauerstellung / CSU weist Stoiber in die Schranken
Paul Rosen

Angela Merkel bleibt Herrscherin über die Union, solange Aussicht besteht, daß sie erste Kanzlerin der Bundesrepublik wird. Ein weiterer Grund für den erstaunlichen Vorgang, daß in der Partei nach dem unerwartet schlechten Abschneiden bei der vorgezogenen Bundestagswahl keine Kämpfe ausgebrochen sind, kommt hinzu: Merkels parteiinterne Rivalen wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch und sein niedersächsischer Kollege Christian Wulff sind geschwächt. Sie können, selbst wenn sie wollten, aus der seit der Bundestagswahl völlig unklaren politischen Situation in Deutschland keine Vorteile ziehen. Ihre Landesverbände schnitten desaströs ab. Die SPD zog in Hessen und Niedersachsen an der CDU vorbei.

Auch der bayerische Löwe mag nicht mehr brüllen. Edmund Stoibers CSU hat bei der Bundestagswahl stark verloren. Statt des erwarteten Rekord-Ergebnisses von nahezu 60 Prozent fuhr sie einen Rekordverlust von fast 10 Prozentpunkten ein. Stoibers Vorstoß für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis, für das man in Berlin den Begriff Jamaika-Koalition fand, war vorschnell. Die CSU ist nicht bereit für eine Koalition mit den Grünen. Stoiber mußte erst in der Berliner Landesgruppe der CSU-Bundestagsabgeordneten Prügel einstecken und kurz danach auch in der Landtagsfraktion in München, wo dem CSU-Chef unmißverständlich zu verstehen gegeben wurde, daß seine Funktionsträger nicht bereit sind, mit Leuten wie Jürgen Trittin und Renate Künast eine gemeinsame Regierung zu bilden. Selten hatte sich ein CSU-Chef so verschätzt. Ehe die Sache eskalierte, ruderte Stoiber schnell zurück und proklamierte die Große Koalition als Ziel.

Merkel reagierte in den ersten Tagen nach der Wahl unsicher. Der Schock wegen der Stimmenverluste war ihr anzusehen. Selbst bei einer oberflächlichen Analyse der Wählerdaten muß die CDU-Chefin mitbekommen haben, daß sie nicht einmal einen Ost-Bonus hat. Ihre CDU landete in den neuen Ländern nach SPD und Linkspartei auf dem dritten Platz. Auch zeigt sich, daß Merkel als Kanzlerkandidatin im Süden der Republik total enttäuschte. Die kinderlose mitteldeutsche Protestantin war offenbar doch nicht als Leitfigur für den überwiegend katholischen deutschen Süden geeignet. Die CSU, die sich programmatisch und personell völlig an die CDU gekoppelt hatte, bekam dies besonders schmerzhaft zu spüren. Mit einem stärker selbständig geführten Wahlkampf wären Verluste in dieser Höhe nicht eingetreten.

Die Landesfürsten der CDU dürften die Lage realistisch beurteilen. Mit Merkel an der Spitze hat die Union ihr Potential bei rund 35 Prozent ausgeschöpft. Merkel verkörpert einen technokratischen, herzlosen Kurs, der viele Wähler abschreckt, aber wenige begeistert. Dennoch hat auch die Pastorentochter Chancen, wie einst Margaret Thatcher in Großbritannien, mit der sie häufig verglichen wird, Regierungschefin zu werden. Davon hängt das weitere Verhalten ihrer Rivalen ab.

Als Kanzlerin wäre Merkel in der Partei unangreifbar

Zieht Angela Merkel ins Kanzleramt ein, können sich Koch und Wulff auf ihre Aufgaben als Ministerpräsidenten konzentrieren und insgeheim nur hoffen, daß die wahrscheinlichste Variante, die Große Koalition, nach ein oder zwei Jahren scheitert. Dann würde ihre Chance kommen, die CDU-Führung zu übernehmen, vielleicht auch die Kanzlerschaft. Als Bundeskanzlerin wäre Merkel aber bis zu dem Punkt, an dem ihre Regierung scheitern würde, so stark, daß jeder Widerstand zwecklos wäre und sofort nach dem Versuch des Königsmords aussehen würde.

Etwas anders ist die Lage bei Stoiber. Der Bayer scheint derzeit entschlossen, in einer Großen Koalition in Berlin ein Regierungsamt zu übernehmen. Merkel kann das nicht verhindern. Als Vorsitzender der CSU hat er das Recht, in die Regierung einzutreten. Aber es gibt noch andere Szenarien: So hat Stoiber seit der Tätigkeit in der Föderalismuskommission einen engen Kontakt zum SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Beide pflegen auf der Arbeitsebene ein gutes Verhältnis.

Wenn die Regierungsbildung mit Merkel ins Stocken geraten würde, weil die SPD nicht auf Gerhard Schröder verzichten will und auch die Israel-Komponente (Wechsel von Schröder auf Merkel in der Mitte der Legislaturperiode) an der CDU scheitern sollte, wäre es denkbar, daß Stoiber mit Müntefering ein Komplott schmieden könnte. Bei dessen Erfolg würden Schröder und Merkel abserviert, und Stoiber würde zusammen mit Müntefering die Regierung bilden. Koch und Wulff hätten nichts dagegen. Sie könnten sich ausrechnen, daß Stoiber längstens vier Jahre amtieren würde. Danach käme ihre Zeit.

Solche Überlegungen sind hochspekulativ. Aber sie zeigen andererseits, daß die politische Lage in Deutschland instabil geworden ist. Selbst wenn die SPD Schröder zurückziehen und den Weg für eine Große Koalition unter Merkels Führung freimachen würde, käme niemand auf den Gedanken, diese Konstellation als stabil zu bezeichnen. Die SPD wäre in diesem Bündnis linksseitig gelähmt, weil sie ständig befürchten müßte, Stimmen an die Linkspartei zu verlieren. Für die Instabilität in Deutschland ist die von Merkel geführte CDU mitverantwortlich. Ein hochrangiger Unionsvertreter sagte kürzlich in einem Hintergrundgespräch, daß die Bürgerlichen, wenn sie in ihrer Führung noch den CSU-Sozialexperten Horst Seehofer und den Wirtschaftsfachmann Friedrich Merz gehabt hätten, die Wahl gewonnen hätten.

An beiden Personen wird deutlich, wie sich die Union verengt hat. Mit Seehofers Abgang verschwand der soziale Flügel. Merz stand, obwohl er sich vorrangig mit Finanzen und Wirtschaft beschäftigt hatte, auch für das konservative Prinzip in der Union. Merkel und Merz sind nicht kompatibel. Deswegen wartet der Sauerländer auf die Zeit nach Merkel. Die kann schneller kommen, als man glaubt.


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