© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Schlecht kopierte Vergebungsgeste
Kirchen: Die "Gemeinsame Erklärung" der deutschen und polnischen Bischöfe wirkt heute nicht so überzeugend wie 1965
Alfred Schickel

In wenigen Wochen wird es vierzig Jahre her sein, daß am Rande des zu Ende gehenden Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom ein Briefwechsel stattfand, dessen Inhalt damals die Welt von Washington bis Moskau aufhorchen ließ. Da richteten die polnische Bischöfe unter dem Datum des 18. November 1965 eine "Botschaft an ihre deutschen Brüder im Hirtenamt Christi", in welcher sich ein Satz fand, der für die damalige Zeit geradezu unerhört schien. "In diesem allerchristlichen und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung."

Vierzig Jahre später ist die Mahnung nur mehr einseitig

Die nun zum 40. Jahrestag des beschriebenen Briefwechsels von 1965 angestrengte "Gemeinsame Erklärung" der deutschen und der polnischen Bischofskonferenz nahm dieses Schreiben allerdings weniger zum Anlaß einer Reflexion. Die jüngst von den jeweiligen Vorsitzenden, Kardinal Karl Lehmann und Erzbischof Jozef Michalik, unterzeichnete Verlautbarung fiel allgemein mehr als "Mahnung" an die vertriebenen Landsleute denn als verständnisvolle Deutung ihrer menschenrechtlichen Erwartungen auf. Da geriet das Verlangen der Vertriebenen, ihrer Todesopfer an einer zentralen Stätte in Trauer gedenken zu dürfen und ihr erlittenes Schicksal als Warnung für die Zukunft zu dokumentieren, mißverständlich in den Verdacht, "alte Wunden, die noch nicht geheilt sind", wieder aufreißen zu wollen.

So ist sogar anklagend von "Aufrechnung" und "Verantwortungslosigkeit im gegenseitigen Verhältnis" die Rede und damit die Möglichkeit riskiert, diese beklagten Störversuche als kritische Anspielungen allein auf deutsche Initiativen deuten zu dürfen. Die Weigerung des Berliner Erzbischofs Kardinal Georg Sterzinsky, dem Bund der Vertriebenen eine leerstehende Kirche als Gedächtnisstätte für das geplante Zentrum gegen Vertreibung zu überlassen, stützt die gezogene Folgerung, daß mit dem Aufreißen "alter Wunden" und der kritisierten "Aufrechnung" nur die deutsche Seite gemeint ist.

Bis zur Botschaft vom November 1965 hatte man aus dem offiziellen und kommunistischen Warschau nur Anklagen und Vorwürfe vernommen. Da war mit Blick auf den 1. September 1939 die Rede vom "deutschen Überfall auf Polen", von sechs Millionen polnischen Opfern und von der "Wiedergewinnung urpolnischer Gebiete im Jahre 1945". Für die Millionen aus Ostdeutschland vertriebenen Menschen hatte man an der Weichsel nur die Bezeichnung "Aussiedler" oder "Rückwanderer" übrig.

Die polnischen Bischöfe wollten 1965 ihre Worte "weniger als Anklage denn als eigene Rechtfertigung" aufgefaßt wissen, um schließlich ein Verständnis auszudrücken, das oft die nachgeborenen Deutschen ihren eigenen Vätern nicht entgegenbringen. "Wir wissen sehr wohl, wie ein ganzer großer Teil des deutschen Volkes jahrelang unter übermenschlichem nationalsozialistischen Gewissensdruck stand, wir kennen die furchtbaren inneren Nöte, denen seinerzeit rechtschaffene und verantwortungsvolle deutsche Bischöfe ausgesetzt waren."

Als Beispiele nannten sie "Kardinal Faulhaber, Kardinal von Galen und Kardinal von Preysing" und fuhren wörtlich fort: "Wir wissen um die Märtyrer der Weißen Rose, die Widerstandskämpfer des 20. Juli, wir wissen, daß viele Laien und Priester ihr Leben opferten (Lichtenberg, Metzger, Klausener und viele andere). Tausende von Deutschen teilten als Christen und Kommunisten in den Konzentrationslagern das Los unserer polnischen Brüder". "Trotz alledem, trotz dieser fast hoffnungslos mit der Vergangenheit belasteten Lage, gerade aus dieser Lage heraus, Hochwürdige Brüder, rufen wir Ihnen zu: Versuchen wir zu vergessen! Keine Polemik, kein weiterer kalter Krieg, aber der Anfang eines Dialogs."

Zum Zeichen, daß diese Worte keine wohlfeilen Unverbindlichkeiten waren, bekannten die polnischen Bischöfe mit Blick auf das im folgenden Jahr 1966 anstehende Jubiläum der Christianisierung Polens: "Wenn Sie, Deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern. Wir laden Sie dazu herzlichst nach Polen ein." Sätze, die nicht nur tief bewegten, sondern auch einen Durchbruch zur Verständigung mit dem polnischen Nachbarn anzuzeigen schienen.

Maßgeblich wirkte 1965 im Hintergrund Joseph Schröffer, Bischof von Eichstätt und späterer Kurienkardinal, mit. Auf polnischer Seite fand sich 1965 Kardinalerzbischof Karol Wojtyla (Krakau) unter den drei polnischen Bischöfen, welche die "Botschaft" vom 18. November erarbeitet und formuliert hatten. Die beiden anderen polnischen Vertreter waren Erzbischof Boreslaw Kominek (Breslau) und Weihbischof Jerzy Stroba (Posen). Auf deutscher Seite wirkten neben Schröffer noch die Bischöfe Franz Hengsbach (Essen) und Otto Spülbeck (Meißen) mit. Diese trafen sich unter Federführung Schröffers wiederholt mit ihren drei polnischen Gesprächspartnern und berieten über den Wortlaut sowohl der polnischen "Botschaft" wie auch der deutschen Antwort. Dank seiner vielfältigen Verbindungen zur polnischen Kirche und ihrem Episkopat konnte Bischof Schröffer beiden Seiten bei der inhaltlichen Gestaltung der Briefe wertvolle Dienste leisten. Er vermochte realistisch abzuschätzen, was zwanzig Jahre nach Besatzungswillkür und Vertreibung gegenseitig zumutbar war.

Deutsche Bischöfe sprachen 1965 auch für Vertriebene

Das war nicht die seit 1945 immer nur einseitig an die deutsche Adresse erhobene Schuldzuweisung Warschaus, sondern eine weit über den Tellerrand nationaler Geschichtspolitik hinausgehende Objektivität in der Betrachtung der tausendjährigen deutsch-polnischen Geschichte, die schließlich in der historischen "Bitte um Vergebung" gipfelte.

In der Antwort der deutschen Bischöfe vom 5. Dezember 1965 setzte sich diese Linie der ausgewogenen Ehrlichkeit fort. Sie vermerkten in ihrem Antwortschreiben aber auch, daß "Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen mußten, in der ihre Väter und Vorfahren lebten", um dann noch klarzustellen und um Verständnis für ihre vertriebenen Landsleute zu bitten: "Diese waren nicht als Eroberer in das Land gezogen, sondern im Laufe der Jahrhunderte durch einheimische Fürsten gerufen worden. Deshalb müssen wir Ihnen in Liebe und Wahrhaftigkeit sagen: Wenn diese Deutschen von 'Recht auf Heimat' sprechen, so liegt darin - von einigen Ausnahmen abgesehen - keine aggressive Absicht. Unsere Schlesier, Pommern und Ostpreußen wollen damit sagen, daß sie rechtens in ihrer alten Heimat gewohnt haben und daß sie dieser Heimat verbunden bleiben." Worte, die von anteilnehmender Hirtensorge zeugten und von den deutschen Ostvertriebenen dankbar aufgenommen wurden. Es stellt sich die Frage, ob 1965 "die Liebe und Wahrhaftigkeit" der Autoren nicht größer war.

Karl Lehmann und Jozef Michalik in Fulda: Bloß keine Aufrechnung


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