© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Barrosos Geständnis
Andreas Mölzer

Er sei unglücklich darüber, wie einige Länder auf das Schei-tern der EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden reagiert hatten, beklagte sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso in der FAZ. Für das Abstimmungsdesaster der EU-Zentralisten hatte er auch gleich eine Erklärung parat: Rechter Populismus, der sich gegen die europäische Integration wende, sei ebenso schuld daran gewesen wie linker Populismus, der die Globalisierung verdammt.

Seinen Äußerungen zufolge soll die europäische Integration also in einen zentralistischen Einheitsstaat münden. Das Eintreten für die Erhaltung und Weiterentwicklung der historisch gewachsenen Kulturen und Ethnien dieses Kontinents wird von dem portugiesischen Ex-Premier schlichtweg ins rechte Eck gedrängt. Die europäischen Völker sollen in eine amorphe Masse verwandelt werden, die brav die Anordnungen der Zentrale befolgt. Und die Globalisierung muß für Barroso etwas Wunderbares sein, würde diese doch aus Europa ein Versuchslabor des Marktes machen, wo Konzernlenker und internationale Investoren auf lästige Arbeitnehmerrechte keine Rücksicht mehr zu nehmen bräuchten.

Selbstkritik ist für die EU-Spitze offenbar ein Fremdwort. Daß das Abstimmungsdebakel vielleicht daher rührt, daß die Bürger ein anderes als das von Brüssel verordnete Europa wollen, kommt ihr nicht in den Sinn. Vielmehr wird stur an der Richtigkeit des eigenen Vorgehens festgehalten und der Wunsch der Bürger nach einem demokratisch verfaßten Staatenbund als "Populismus" abqualifiziert. Dabei müßte der sprachgewandte Barroso eigentlich wissen, daß das Wort Populismus dem lateinischen populus (Volk) entlehnt ist.

Barroso ließ auch wissen, es sei eine "Illusion" zu glauben, daß die EU-Verfassung in den nächsten ein bis zwei Jahren in Kraft träte. Zugleich fügte er aber hinzu, daß die von der Zentrale verordnete Nachdenkpause nicht fürs Nichtstun verwendet werden dürfe. Was auf die Bürger zukommen wird, kann der gelernte Europäer diesen Äußerungen entnehmen. Die Brüsseler Machtzentrale werkt im Verborgenen schon eifrig daran, wie sie den widerspenstigen Bürgern ein neues Vertragswerk überstülpen kann. Die gescheiterte Verfassung wird in unwesentlichen Details geändert und dann als etwas vollkommen Neues verkauft werden. Barroso selbst gab unumwunden zu, daß er für dieses zentralistische Vertragswerk gekämpft hatte.

Zu diesen Aussagen paßt auch gut die Eile der EU-Mächtigen, die den Türkeibeitritt mit aller Gewalt durchdrücken wollen. Denn die Ablehnung der Aufnahme dieses orientalischen Landes in die Europäische Union war schließlich ein wesentlicher Grund für das Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden. In der Türkei-Frage sollen nun die Europäer vor vollendete Tatsachen gestellt werden, um zu verhindern, daß diese Frage nochmals das Abstimmungsverhalten beeinflußt. Die Brüsseler Zentrale liefert einmal mehr den Beweis dafür, daß sie bei der Verwirklichung ihrer Interessen auf die Bürger keine Rücksicht nimmt. Wenn sich die Bürger aber erdreisten zu widersprechen, werden eifrigst Tricks zu ihrer Überrumpelung ausgeheckt. In der heutigen EU ist der Grundsatz "Brüssel locuta, causa finita" die Maxime allen Handelns.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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