© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Weltgestaltung aus der Froschperspektive
Der Politologe Hans-Peter Schwarz scheut in seiner kritischen Analyse der deutschen Außenpolitik eine klare Richtungsansage
Peter Lebitsch

Derzeit erlebt die Europäische Union ihre bislang dramatischste Krise. Daß der als Adenauer-Biograph bekannte Hans-Peter Schwarz, dessen publizistisches Wirken nach seiner Emeritierung an der Universität Bonn nicht nur als Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften ungebrochen ist, das Manuskript seines jüngsten Buches kurz vor dem Scheitern der EU-Verfas­sung beendete, verleiht seinen "Anmerkungen zur deutschen Außenpolitik" zusätzliche Brisanz.

Deutsche Außenpolitiker aller Parteien, meint der Autor, taumeln von einer Ratlosigkeit in die nächste. Der "Westen" zerfalle, und somit schwinden die Fundamente der Alt-BRD. Das erweiterte Europa stolpere über seine eigenen Füße, während Deutschland die heikle Frage beantworten müsse, ob Grundgesetz und EU-Dominanz harmonieren. Und "wie kann sich Deutschland in der Völkerwanderung behaupten, an deren Anfängen wir heute ste­hen?" Die­ses Problem läßt der Autor dann allerdings völlig ungeklärt.

Europa und die USA driften auseinander; die nebulöse Zukunft der Nato verschlimmere das konfuse Gesamtbild. "Klassische Bezugskreise deutscher Außenpolitik" existierten nicht mehr. Die "krisenfeste" Saturiertheit der Alt-BRD gehe verloren. Nun gerate Deutschland auch in die gefährlichen Strudel des Vorderen und Mittleren Orients. Das Engagement der Bun­deswehr in Bosnien sei politisch verfehlt; die Balkanvölker pflegen seit Jahrhunderten eine Kultur der Gewalt und könnten demzufolge ihre Probleme nur selbst bewältigen. Der These, daß Deutschland "am Hindukusch zu verteidigen" sei, fehle jegliche Substanz.

Ein "quasiföderalistisches Europa" verweist Schwarz in das Reich gefährlicher Träume. Nur Deutschland trete freiwillig immer mehr Souveränitätsrechte ab. Andere europäische Länder wollen diesem Sonderweg nicht folgen. Frankreich nutze die Europäische Union als Instrument, um Deutschland zu kontrollieren. Ohnehin verenge die deutsche wirtschaftliche Schwäche au­ßenpolitische Spielräume der Berliner Diplomatie. Nicht zuletzt sei das deutsche Selbstver­trauen aus dem historischen Trauma des Nationalsozialismus zerstört.

Zahllose "Fang- und Greifarme" der "Riesenkrake" Brüssel bedrohen die Eigenarten der National­staaten. "Demokratie im Innern und Selbstbestimmung nach außen" ergänzen einan­der kom­plementär. Die regulative Idee der "Staatsräson" sei keineswegs anachronistisch, auch wenn dies alle deutschen Parteien ignorieren. Ralf Dahrendorf zitiert Schwarz mit der Bemerkung, "daß alles, was in Europa entschieden wird, demokratischer Kontrolle entzogen ist. Mehr Europa heißt immer auch weniger Demokratie."

Nation "vorrangiger Fixpunkt" deutscher Politik

Bei diesem Dreh- und Angelpunkt schwankt der Autor. Zwar gelte der Nationalstaat vie­len als Trutz­burg wider die Globalisierung, doch nur "altmodische Illusionisten" verkennten, daß der tra­diti­onelle Staat die Interessen seiner Bürger nur im Rahmen der EU artikulieren könne. Den­noch be­stimmt Schwarz die Nation zum "vorrangigen Fixpunkt" deutscher Politik. Sie sei die "Num­mer eins, die EU ist die gewichtige Nummer zwei". Daraus leitet Schwarz aber keine Forderung ab, die Struktur der Europäischen Union zu ändern, die schließlich dabei ist, ihre Mit­gliedstaaten eher zur "Nummer zwei" zu degradieren. Schwarz rät, ein "System ge­teilter Souve­ränitä­ten" anzustreben, ohne dies allerdings zu konkretisieren.

Ein "Sowohl als auch" bevorzugt Schwarz genauso hinsichtlich der europäisch-amerikani­schen Beziehungen. Das "dekadente Europa" sei nicht imstande, die eigene Sicherheit zu ge­währleisten, ungeachtet der Notwendigkeit, überzogene Erwartungen der Amerikaner abzu­weisen. Militäreinsätzen solle Deutschland mit "Zurückhaltung" begegnen, sie aber nicht prinzipiell ausschließen. Die EU will Schwarz auf dem jetzigen - sehr undemokratisch-institutionellen - Niveau einfrieren. Weitere Länder, besonders die Türkei, dürften nicht mehr beitreten.

Dieses lesenswerte Buch regt die Diskussion an. Es beinhaltet jedoch Widersprüche. Mitun­ter hat Schwarz Angst vor der eigenen Courage und verzichtet darauf, der deutschen Außenpolitik einen konkreteren Kurs mit Mut zur Vertretung nationaler Interessen zu empfehlen.

Hans-Peter Schwarz: Republik ohne Kompaß. Anmerkungen zur deutschen Außenpolitik. Propyläen Verlag, Berlin 2005, 352 Seiten, gebunden, 20 Euro

Globus mit Kompaß: Idee der Staatsräson ist nicht anachronistisch


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