© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

Keine Siegesstimmung
Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD werden äußerst schwierig
Paul Rosen

Die SPD versteht sich auf Inszenierungen. Am vergangenen Sonntagnachmittag stellte sich Kanzler Gerhard Schröder vor eine Kamera des Senders RTL und gab sein Schicksal in die Hände der SPD: "Es geht um den politischen Führungsanspruch meiner Partei, und darüber kann nur die Parteiführung befinden." Er fügte hinzu: "Ich werde jede Entscheidung akzeptieren." Der Entwicklung zur Fortführung des von ihm eingeleiteten Reformprozesses und einer stabilen Regierung wolle er, Schröder, nicht im Wege stehen.

Umgehend liefen die Medien zur Höchstform auf. Agenturen schickten Eilmeldungen, die den Eindruck erweckten, Schröder sei zum Verzicht auf das Kanzleramt bereit. Die SPD-Zentrale, wo das Präsidium der Partei gerade zu einer Sitzung zusammengetreten war, wurde von Journalisten belagert. Zwei Stunden später stellte sich SPD-Chef Franz Müntefering vor die Presse und erklärte, es sei alles falsch interpretiert worden. Die SPD halte an Schröder fest und habe als stärkste Partei (Müntefering trennt CDU und CSU in zwei Parteien) das Recht auf die Kanzlerschaft.

Damit war es den Sozialdemokraten wieder einmal gelungen, ihre Niederlage im Stimmbezirk Dresden I weitgehend an den Rand des öffentlichen Interesses zu drängen. Die durch den Tod einer NPD-Direktkandidatin erforderlich gewordene Verschiebung der Bundestagswahl in dem Wahlbezirk sah die SPD bei den Erststimmen klar hinten. Der CDU-Kandidat gewann. Außerdem hatten viele Wähler das komplizierte deutsche Wahlrecht besser verstanden, als viele Politiker erwartet hatten, und ihre Zweitstimme an die FDP gegeben. Dies führte durch die Überhangmandateregelung dazu, daß die CDU ein weiteres Überhangmandat bekam und der Vorsprung der Unionsfraktion im Bundestag vor der SPD von drei auf vier Sitze stieg. Insgesamt verfügt die Union jetzt über 226 Sitze im Parlament.

Die Sozialdemokraten wären auch schlecht beraten gewesen, wenn sie der Forderung der Union nachgekommen wären und Schröder am symbolträchtigen Tag der Deutschen Einheit zum Verzicht auf das Kanzleramt gedrängt hätten. Die Verhandlungsposition der SPD wäre unnötig geschwächt worden, weil Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel damit automatisch den Anspruch auf die Führung der Regierung gehabt hätte. In der Politik geht es bekanntlich zu wie auf einem orientalischen Basar, wo es auch nichts umsonst gibt, sondern jede Ware ihren Preis hat. Und man darf sicher sein, daß die SPD die Kanzlerschaft zu einem sehr hohen Preis "verkaufen" würde. Merkel würde ihren Einzug in die Regierungszentrale, wenn er denn erfolgen sollte, mit zahlreichen und vor allem wichtigen Ministerposten bezahlen müssen. Die vielen Unionspolitiker, die sich wie CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sicher gezeigt hatten, daß Schröder am vergangenen Wochenende aufgeben würde, hatten sich zu früh gefreut.

Auf die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD werden Koalitionsverhandlungen folgen. Die Position der SPD ist dabei gar nicht so schlecht, wie es aufgrund des Wahlergebnisses vom 18. September und der Nachwahl in Dresden aussieht. Es sind CDU und CSU, die dringend einen Koalitionspartner brauchen, wenn sie regieren wollen. Mit der FDP zusammen reichen die Stimmen nicht, und eine Jamaika-Koalition mit den Grünen würde die CSU zerreißen.

Die SPD hat neben der Großen Koalition mehrere andere Optionen. Sie könnte Schröder im Bundestag wieder als Kanzler vorschlagen und mit einer Zufallsmehrheit wählen lassen. Es darf nicht vergessen werden, daß es im deutschen Parlament eine linke Mehrheit aus SPD, Linkspartei und Grünen gibt. Und die Abstimmung ist geheim. Schröder könnte also mit einem Minderheitskabinett weiterregieren. Das wäre eine Situation, die man aus anderen europäischen Ländern und aus der Weimarer Republik kennt. Theoretisch möglich wäre sogar ein rot-rot-grünes Bündnis, beginnend erst als Tolerierungsmodell nach Magdeburger Vorbild und schließlich in eine Koalition mündend. Oder natürlich die Große Koalition mit der CDU/CSU.

Die Union wird sich noch auf einiges einstellen müssen bei den Verhandlungen mit der SPD. Merkel macht inzwischen einen unsicheren Eindruck. Sie steht auch innerparteilich unter Druck. Still halten nur diejenigen, die sich ausrechnen, einen Posten in der Regierung zu bekommen. Andere werden laut und deutlich, etwa der frühere CSU-Gesundheitsminister und heutige stellvertretende Parteivorsitzende Horst Seehofer. Er redet ständig davon, daß die Union auf ihre Kopfpauschale verzichten müsse. Das ist ein klarer Fingerzeig auf Merkel, die durch die strikt ökonomische Ausrichtung der CDU viele Wähler nicht erreicht hat und von Teilen der Bundestagsfraktion deshalb intern kritisiert wird. Die Stimmung in der Union ist auf keinen Fall die eines Wahlsiegers. Und je länger der Verhandlungskrieg mit der SPD dauert, desto schwerer dürfte es für Merkel werden, ihre Partei unter Kontrolle zu halten.

Das Rennen um die Kanzlerschaft kann also auch drei Wochen nach der Bundestagswahl durchaus als offen bezeichnet werden - auch wenn sich alle politischen Auguren mittlerweile auf Merkel als Kanzlerin einrichten.


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