© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

Anmut und Mühe
Berliner Ensemble: Shakespeares "Wintermärchen"
Sven Lachhein

Das Berliner Ensemble hat sich mit der Inszenierung von Shakespeares "Wintermärchen" durch Robert Wilson wieder einen neuen Publikumsmagneten geschaffen. Wer den Stil des Theatermagiers schätzt oder sich zumindest zur Berliner Theaterschickeria zählen will, kommt voll auf seine Kosten. Am Samstag, den 24. September ging die Premiere unter großem Beifall des Publikums im ausverkauften Saal reibungslos über die Bühne.

Wilsons Mischung aus Regietheater, Operette, Licht- und Klangspektakel, das sich aus folkloristischen, jazzigen und schlicht tonmalerischen Quellen speist, kann zweifelsohne als gelungenes Gesamtkunstwerk betrachtet werden. Alles zielte auf Reduktion und Verdichtung des Märchens in ästhetisches Arrangement ab.

Ort der Handlung ist Sizilien, später Böhmen. Dabei überrascht, daß Sizilien zwar noch irgendwo im antiken Griechenland angesiedelt ist, Böhmen allerdings direkt am rauhen Meer mit steinigen Küsten liegt. Doch dies ist nur ein inhaltliches Paradoxon. Raffiniert hat der Regisseur das Innere der Figuren nach außen gekehrt, ihnen nichts als ihre körperlichen, ungelenken Hüllen gelassen, in denen sie wie Marionetten ihrer selbst wirkten. Dafür entluden sich deren Gefühlsschwankungen über den Zuschauern in gewaltigen Feuerwerken, die wie bunte Blitze den Bühnenhimmel durchzuckten. Bei soviel Effekthascherei, Lichtspielerei und geräuschvollem Klangteppich konnte Wilson sich mit einem recht schlicht gehaltenen Bühnenbild begnügen, die "Vierte Wand" gewann ihren Zauber erst mit Hilfe kinematographischer Spielereien, ohne jedoch im ersten Moment als solche entlarvt zu werden.

Die eigentliche Handlung selbst verschwindet fast unter dem mächtigen Bühnenspektakel. Dennoch: Leontes, König von Sizilien, meisterhaft gespielt von Stefan Kurt, löste durch maß- und grundlose Eifersucht eine sechzehnjährige Zeit der Herzenskälte aus, die seine schöne Gemahlin als Statue überdauerte. Er verdächtigte Hermione, ausdrucksstark dargestellt von Sonja Grünzig, des Ehebruchs mit seinem Jugendfreund, dem böhmischen König Polixenes, eitel getroffen von Tillbert Strahl-Schäfer.

Als Hermione ein Töchterchen zur Welt bringt, läßt Leontes, taub gegen alle Einreden des Orakels von Delphi, den Säugling aussetzen. Daraufhin sterben Königin und Prinz aus Gram und der Edelmann Antigonus eines hungrigen Bären wegen. Am Ende aber wird das glücklich von einem Schäfer gerettete Mädchen den Sohn des Böhmenkönigs heiraten, das Standbild der verstorbenen Königin erwacht zu neuem Leben, und alle herzen und küssen sich voller Freude, den alten Zwist endlich begraben zu haben.

Das Zusammenspiel von schauspielerischer Selbstbeherrschung und dramaturgischer Disziplin auf fundierter Shakespearescher Dramenkunst wird auch die Skeptiker des modernen Theaters überzeugen - auch wenn ein echter Robert Wilson immer noch schwer genießbare Abendunterhaltung bleibt.

Die nächsten Aufführungen finden statt am 22. und 23. Oktober im Theater am Schiffbauerdamm, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1. Info: 030 / 2 84 08-155


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