© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

Nationalsozialisten und Alliierten ein Dorn im Auge
Am 9. Oktober wird Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster zwischen 1933 und 1946, seliggesprochen
Hans-Joachim von Leesen

Nec laudibus, nec timore" wählte er als Wappenspruch. Und wenn der Spruch "Nicht für Lob, nicht aus Furcht" auf ein Leben zutrifft, dann auf das des vor 59 Jahren als Bischof von Münster und Kardinal gestorbenen Clemens August Graf von Galen, der am 9. Oktober seliggesprochen wird. Bald nach seinem Tode wurde der Seligsprechungs-Prozeß eingeleitet und im November 2004 positiv abgeschlossen. Welches Lebenswerk wird damit von der katholischen Kirche so deutlich herausgehoben, wer war der Mensch, dem diese Erhöhung zuteil wird?

Clemens August Graf von Galen, geboren 1878 im Münsterland, entsprach wohl in keiner Phase seines Lebens dem jeweiligen Zeitgeist. Er kam als elftes von 13 Kindern des Zentrums-Abgeordneten Ferdinand Heribert Graf von Galen und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene von Spee, auf die Welt. Sowohl die Galens als auch die Spees waren alte westfälische Adelsgeschlechter, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Offiziere und Geistliche hervorbrachten. Clemens wurde 1904 zum Priester geweiht. Von 1906 bis 1929 diente er als Pfarrer einer Gemeinde in Berlin.

Engagiertes Handeln gegen die NS-Euthanasiepolitik

Mit vielen Auswirkungen der nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland herrschenden Geistesrichtung war er nicht einverstanden. Mehrfach äußerte er sich kritisch über die Parteienherrschaft. Er sah, wie sich Entchristlichung und Gottlosigkeit ausbreiteten und wie der Parlamentarismus nicht in der Lage war, dem deutschen Volk eine stabile Lebensgrundlage, sei es in moralischer, sei es in wirtschaftlicher Hinsicht zu geben. Im selben Jahr, in dem Hitler als Vorsitzender der stärksten Partei Reichskanzler wurde, weihte man den Grafen von Galen zum Bischof von Münster.

Mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus geriet er sehr bald in Konflikt. So bezog er mit anderen katholischen Persönlichkeiten offen Stellung gegen das Buch Alfred Rosenbergs "Der Mythus des 20. Jahrhunderts". Daß er auch während des Zweiten Weltkrieges sowohl in Predigten als auch in Schriftstücken an die Regierung die willkürliche Beschlagnahme von Gebäuden katholischer Orden anprangerte, ist ebenso bekannt wie seine öffentlichen Predigten, als immer häufiger Gerüchte an die Öffentlichkeit drangen, daß Insassen von Heilstätten, die als unheilbar galten, auf Anordnung staatlicher Stellen als "lebensunwert" getötet wurden. Und nicht nur das: Er erstattete im August 1941 bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Mordes. Tatsächlich wurde die Euthanasieaktion daraufhin eingestellt, wenn auch weiterhin Tötungen in Einzelaktionen vorgenommen wurden.

Im Gegensatz zu anderen Systemgegnern stand er im Zweiten Weltkrieg nicht auf seiten der Kriegsgegner Deutschlands. Als Anfang April 1945 die Alliierten meldeten, er habe nach der Einnahme Münsters Kontakt mit den Besatzungsmächten aufgenommen, reagierte er heftig. Er wehrte sich dagegen, daß man "geflissentlich diese Lüge verbreitet habe". Als einige Tage später tatsächlich die ersten britischen und US-amerikanischen Pressevertreter den als Gegner des Nationalsozialismus bekannten Bischof aufsuchten, nahm er dezidiert Stellung: "Den mich besuchenden Herren von der englischen und amerikanischen Presse habe ich erklärt, daß ich als deutscher Bischof mit meinem deutschen Volk fühle und leide - daß ich es ablehne, solange der Krieg nicht beendet sei, mit ihnen über politische Fragen zu sprechen oder irgendwelche Erklärungen abzugeben ...".

Nach dem Einmarsch der Alliierten löste sich die öffentliche Ordnung in Deutschland teilweise auf. Der Bischof ermahnte den Chef der Militärregierung in Westfalen, Colonel Leadenham, seiner Pflicht nachzukommen und Leben und Eigentum der Deutschen vor unnötiger Gewalt, Zerstörung und Plünderung zu schützen. Diese Plünderungen, Morde und Vergewaltigungen gingen ebenso von frei durchs Land streifenden Fremdarbeitern und Kriegsgefangen aus wie von amerikanischen Soldaten. "Es ist unbegreiflich, daß so wenig Zucht und Ordnung herrscht, besonders bei Nacht. Am 10. April wurden in Lendenhorst vier Mädchen vergewaltigt und Kirchen entweiht."

Als am 12. Juni 1945 ein Pfarrer von marodierenden russischen Fremdarbeitern zusammengeschlagen und beraubt wurde, geriet er gegenüber dem belgischen Offizier, der ihm nach Festnahme der Russen die geraubten Gegenstände zurückgab, in äußerste Erregung: "Sie wissen, wie ich den Nazifrevel bekämpft habe. Nun wohl, so werde ich jedes Unrecht bekämpfen, von wannen es auch kommen mag. Sagen Sie das Ihrem Vorgesetzten", soll er den Offizier angeherrscht und dabei mit seiner Faust auf den Schreibtisch gehauen haben.

Gegen eine ungerechte Beschuldigung und Bestrafung

Mit zunehmendem Nachdruck wendet er sich gegen die damals hochkommenden Parolen von der deutschen Kollektivschuld. Berühmt wurde seine am 25. Juli 1945 in Telgte gehaltene Predigt. "Wenn man heute es so darstellt, als ob das ganze deutsche Volk und jeder von uns sich schuldig gemacht habe durch die Greueltaten, die von Mitgliedern unseres Volkes im Kriege begangen worden sind, so ist das ungerecht. Es ist Verleugnung der Gerechtigkeit und der Liebe, wenn man uns alle, jeden deutschen Menschen, für mitschuldig an jedem Verbrechen und darum für strafwürdig erklärt. Die unvermeidlichen Kriegsfolgen, das Leid um unsere Toten, um unsere zerstörten Städte, Wohnungen und Kirchen wollen wir annehmen und mit Gottes Hilfe geduldig tragen. Nicht aber ungerechte Beschuldigung und Bestrafung ...". Er wird daraufhin zur britischen Militärregierung in Warendorf zitiert. Dort wird ihm vorgehalten, er mache es der Militärregierung unmöglich, das deutsche Volk zu erziehen, wenn er die Kollektivschuld ablehnt. Die Zudiktierung der Schuld, so sagt der britische Oberst, sei nicht so sehr als Strafe, sondern als erzieherische Maßnahme gedacht.

Galen läßt sich darüber nicht auf Diskussionen ein, sondern geht zum Gegenangriff über. Das Plündern deutscher Wohnungen und Häuser, so der Bischof, durch Fremdarbeiter und ehemalige Kriegsgefangene der alliierten Armeen sei nur möglich geworden, "weil die gesamte Propaganda in Presse und Rundfunk von Haß und Rachegedanken gegen Deutschland sich leiten läßt".

Wegen seiner "äußerst patriotischen" Haltung wird er nach dem Krieg von dem Historiker Lothar Kettenacker gerügt. Bald danach veröffentlicht die Neue Zürcher Zeitung ein Interview, das Bischof von Galen ihrem Reporter Fritz Rene Allemann gegeben hat, (und das in Anwesenheit eines britischen Kontrolloffiziers). Darin wirft er der britischen Besatzungsmacht vor, sie sei "in mancher Beziehung eine Nachahmung des Nationalsozialismus". Die von den Siegermächten eingerichteten Internierungslager, in die gegen jedes Völkerrecht die Deutschen zu Hunderttausenden eingesperrt waren, nennt er Konzentrationslager. "Müßt Ihr Engländer denn unbedingt die schlimmsten Lager (der Nationalsozialisten) nachmachen, wenn Ihr sie schon nachmachen müßt?" Er verweist darauf, daß zur nationalsozialistischen Zeit viele Regimegegner, die aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurden, "wenigstens pensioniert oder doch in irgendeiner Weise abgefunden wurden", während die heutigen Sieger die wirklichen oder angeblichen Nationalsozialisten aus ihren Stellungen hinauswürfen und sie und ihre unschuldigen Familien dem Elend preisgäben.

Herausragende Persönlichkeit des Klerus der britischen Zone

Schließlich kommt er auf die "gänzlich unbegreifliche Grenzziehung im Osten und die Austreibung der Deutschen" zu sprechen. "Dies ist eine Neuerung der Geschichte, die nicht mehr da gewesen ist, seitdem das Christentum in die Welt kam, bis die Alliierten und der Nationalsozialismus damit begonnen haben. Letzteres hat uns nicht gewundert, was uns wundert ist, daß die christlichen Völker des Westens zu solchen Methoden ihre Zustimmung geben ..."

Als überraschend um die Weihnachtszeit 1945 der Papst drei deutsche Bischöfe zu Kardinälen ernennt, darunter auch Bischof Galen, deutet er das als einen "Ausdruck der Liebe des Papstes für unser armes deutsches Volk. Vor aller Welt hat er als übernationaler und unparteiischer Beobachter das deutsche Volk als gleichberechtigt in der Gesellschaft der Nationen anerkannt." Auf seiner Fahrt nach Rom Anfang 1946 besucht er fast alle an seiner Reiseroute liegenden Kriegsgefangenenlager und spricht den dort festgesetzten deutschen Soldaten nicht nur Mut zu, sondern er schmuggelt auch in großer Anzahl ihre Briefe- und Nachrichten an die Angehörigen aus dem Lager, um sie weiterzuleiten.

Bei seiner Rückkehr von der beschwerlichen Fahrt nach Rom wird der neue Kardinal von den Westfalen begeistert gefeiert. Er hat nur noch wenige Wochen zu leben. Am 22. März 1946 stirbt er an einem durchbrochenen Blinddarm. Seine letzten Worte waren: "Wie Gott es will. Gott lohne es Euch. Gott schütze das liebe Vaterland. Oh, Du lieber Heiland!" Er wird in der Familiengruft der von Galens im zerstörten Dom zu Münster beigesetzt. Das Foreign Office charakterisiert ihn als "die herausragende Persönlichkeit des Klerus der britischen Zone. Unnachgiebig in der Diskussion, ist dieser fest verwurzelte Aristokrat ein deutscher Nationalist durch und durch".

Foto: Clemens August von Galen als Münsteraner Bischof: Ein deutscher Nationalist durch und durch


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