© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Die eingemauerte Kanzlerin
Regierungsbildung: Merkel zwischen SPD und CSU eingeklemmt / Kritik an Aufteilung der Ministerien / Angriffe aus den eigenen Reihen unwahrscheinlich
Paul Rosen

Angela Merkel ist noch nicht zur Kanzlerin gewählt, da gibt es Anzeichen von Verärgerung in der CDU. In der Vorstandssitzung, bei der Merkel sich die Zustimmung zur Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen holen wollte, regte sich Widerspruch. Die Unterhändler der Union, so sollen sich einige Vorstandsmitglieder geäußert haben, hätten sich zu viele wichtige Ressorts abhandeln lassen. In der Tat: Die SPD bekommt acht Ministerien, die CDU erhält nur vier Fachminister, die CSU zwei. Merkel, die erste deutsche Kanzlerin, wirkt bei der Ressortverteilung in ihrem Kabinett wie eingemauert.

Daß die SPD sich den Verzicht auf Kanzler Gerhard Schröder teuer bezahlen lassen würde, war klar. Traditionell bekommt der kleinere Koalitionspartner das Außenministerium und die Vizekanzlerschaft. Daneben handelte SPD-Chef Franz Müntefering der CDU sieben weitere Ministerien ab. Dazu gehören die Ressorts Finanzen, Justiz, Entwicklungshilfe, Arbeit und Soziale Sicherung, Gesundheit, Verkehr und Bau sowie Umwelt und Naturschutz. Besonders die Ressorts Finanzen, Arbeit und Gesundheit sind Schlüsselministerien, deren Amtsinhaber maßgeblich die Politik bestimmen werden. Daß Merkel auch nur eine kleine Chance haben könnte, von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, schloß Müntefering noch am Abend der Einigung aus: Das wäre das Ende der Koalition.

Die Führungstruppe um Merkel hat noch nicht ganz begriffen, wie schwierig das Durchsetzen von CDU-Positionen werden wird. Die SPD ist linksseitig gelähmt. Jeder Versuch, auf Hartz IV noch was draufzusetzen oder Arbeitnehmerrechte zum Beispiel beim Kündigungsschutz oder Steuervorteile für Nachtarbeit einzusammeln, dürfte in dieser Koalition vereitelt werden. Zu groß ist die Angst der SPD, Stimmen an die Linkspartei zu verlieren.

Deutlicher formuliert: Die CDU, die mit ihren Parteitagsbeschlüssen zur Gesundheitspolitik und zum Steuerrecht den Versuch begann, die modernste Partei Europas zu werden, dürfte nun vor einem Scherbenhaufen stehen. Mit ihren Ressorts Innen, Verteidigung, Familie, Bildung und Landwirtschaft (eines der Ministerien geht noch an die CSU) verbindet sich keines der zentralen Politikfelder der CDU. Mehr noch: Mit Edmund Stoiber wird ein natürlicher Verbündeter der Sozialdemokraten Wirtschaftsminister. Der CSU-Chef schneiderte sich ein Wunschressort. Für Grausamkeiten ist er nicht zuständig, da der Bereich Arbeit des bisher von Wolfgang Clement (SPD) geführten Ministeriums wieder selbständig wird und an die SPD geht.

Große Grausamkeiten sind von dieser Koalition ohnehin nicht zu erwarten. Die SPD hat Angst vor der Linken, die CSU muß Stimmen bis tief in die sozialdemokratischen Milieus einsammeln, wenn sie 2008 bei den Landtagswahlen in Bayern wieder weit über 50 Prozent einsammeln will. Es ist sprichwörtlich für diese Koalition, daß zu den ersten inhaltlichen Vereinbarungen die Beibehaltung der Steuerfreiheit von Sonntags- und Nachtarbeitszuschlägen gehört, deren Streichung einer der zentralen Punkte im CDU-Steuerprogramm war. Die Kopfpauschale, der Kernpunkt der Merkelschen Reformideen, wurde bereits von Stoiber beerdigt. Und daß Stoiber ausgerechnet Merkels Widersacher Horst Seehofer mit in die Verhandlungskommission nahm, die den Koalitionsvertrag zimmern soll, spricht Bände. Seehofer steht der SPD weiter näher als der CDU.

Daß die CSU nach ihren Verlusten in Bayern von jeder Art programmatischer Modernisierung und professoralen Ratschlägen von Paul Kirchhof die Nase voll hat, ist klar. Die CSU will sich wieder als Schutzmacht der kleinen Leute etablieren und es dabei durchaus auf Krach mit der CDU ankommen lassen. Und die Verärgerung im Stoiber-Lager ist groß. Man wirft der Schwesterpartei intern vor, mit ihrer Programmatik nur knapp 30 Prozent der Wähler erreichen zu können. Die Kampagnenfähigkeit der CDU sei schlecht, Merkel nicht diejenige, die breite Wählerschichten anspreche.

Dennoch wird in der CDU keine breite Debatte über den Kurs der Partei einsetzen. Die CDU hatte immer Züge eines bürgerlichen Kanzlerwahlvereins, ein Milieu wie die SPD oder eine regionale Identität wie die CSU hat sie nicht. Eine Diskussion über die Gründe der Stimmenverluste findet nicht statt. Mögliche Widersacher von Merkel, etwa der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff oder sein hessischer Kollege Roland Koch, haben in ihren Ländern auch Stimmverluste hinnehmen müssen und sind nicht in der Angriffsposition. Die Debatte über die Ursachen der CDU-Misere wird auch nicht geführt werden, weil die Parteichefin den wichtigsten Posten in Deutschland bekommen wird. Und Macht macht bekanntlich schön.


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