© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Finale polnischer Nationalisten
Polen: Donald Tusk und Lech Kaczynski erreichten die Stichwahl ums Präsidentenamt / Neoliberaler gegen Sozialkonservativen
Jörg Fischer

Letzten Sonntag lagen die Demoskopen nicht so daneben wie bei der Parlamentswahl am 25. September. Erwartungsgemäß brachte die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Polen noch keine endgültige Entscheidung: Donald Tusk, der Kandidat der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO), landete mit 36,3 Prozent allerdings nur 3,2 Prozentpunkte vor Lech Kaczynski von der sozial-rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der mit 33,1 Prozent Zweiter wurde.

Welcher der beiden Kontrahenten - die einst gemeinsam in der Solidarnosc-Bewegung gegen die KP-Diktatur aktiv waren - die Stichwahl am 23. Oktober für sich entscheiden wird, ist aber völlig offen. Auf eine hohe Zahl bisheriger Nichtwähler können wohl weder Tusk noch der Kaczynski zählen. Nur knapp die Hälfte der Polen ging zur Wahlurne. Das waren zwar fast zehn Prozent mehr als bei der Parlamentswahl, doch so wenig wie noch nie bei einer Präsidentschaftswahl der "Dritten Republik".

Neben der in postkommunistischen Ländern inzwischen üblichen Enttäuschung über 15 Jahre Reform-Prozeß, Wut auf "die da oben" und politischem Desinteresse war daran wohl auch die Riege der angetretenen Kandidaten schuld. Anfangs waren es 16, zum Schluß nur noch zwölf. Der 1995 mit 51,7 Prozent im zweiten Wahlgang (gegen Solidarnosc-Gründer Lech Walesa) als Präsident gewählte und 2000 mit 53,9 Prozent im ersten Wahlgang bestätigte Aleksander Kwasniewski durfte nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidieren.

Der 50jährige war - trotz seiner Funktion als kommunistischer Jugendminister 1985 bis 1987 - auch über das Lager der Ex-Kommunisten hinaus anerkannt. Sein Nachfolger vom postkommunistischen Bündnis der Demokratischen Linken (SLD), Wlodzimierz Cimoszewicz, hatte Mitte September seine Kandidatur zurückgezogen - wegen eines umstrittenen Aktienhandels.

Der Kandidat der kommunistischen Arbeitspartei (PPP), Daniel Podrzycki, kam zwei Wochen vor der Wahl bei einem Autounfall ums Leben. Auch der EU-Parlamentarier Maciej Giertych von der rechtsnational-katholischen Liga Polnischer Familien (LPR) und der medial beliebte Herzchirurg Zbigniew Religa hatten sich zurückgezogen.

Zünglein an der Waage dürften einerseits die Wähler des mit 15,1 Prozent überraschend starken 51jährigen Politrabauken Andrzej Lepper werden. Seine 1992 gegründete linkspopulistische bäuerliche Samoobrona (Selbstverteidigung, JF 25/04) erreichte bei den Sejm-Wahlen nur 11,4 Prozent.

Lepper, der einen einstmals deutschen Bauernhof besitzt, wurde mehrfach wegen Beleidigung und der Beteiligung an illegalen Blockaden zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Bei den Präsidentschaftswahlen 1995 bekam er nur 1,3 Prozent, 2000 schon 3,1 Prozent. Lepper, der - im Gegensatz zum nationalpolnischen Antikommunisten Kaczynski (JF 41/05) - ein engeres Verhältnis zu Rußland fordert, wird seinen Anhängern (die meist aus "Unterschichten" stammen) dennoch signalisieren, den sozialeren PiS-Kandidaten zu wählen. Auch die offene EU-Skepsis vereint beide: Er sei gegen die EU-Verfassung, "weil sie zu weit in Richtung eines Quasi-Superstaates geht", erklärte Kaczynski im JF-Interview (34/05). Auch zahlreiche Anhänger des Bewerbers der bäuerlichen Volkspartei (PSL), Jaroslaw Kalinowski (1,8 Prozent), werden wohl für Kaczynski stimmen, der schon jetzt in den armen und rückständigen fünf östlichen Wojewodschaften vorne lag. Die Wähler von Marek Borowski, dem einzigen Kandidaten der abgewählten Postkommunisten, werden vermutlich mehrheitlich Tusk zuneigen. Denn er verspricht, nicht allzu "hart" gegen kommunistisches Unrecht und fragwürdige Privatisierungen vorzugehen. Kaczynski erklärte hingegen in der JF: "Die Unterlassung der Bestrafung der betroffenen Personen gehört zu den größten Fehlern, welche die Dritte Republik begangen hat."

Ex-Sejm-Präsident Borowski, der sich mit seiner Polnischen Sozialdemokratie (SDPL) von der SLD abgespalten hatte, erhielt immerhin 10,3 Prozent der Stimmen, nachdem seine SDPL bei der Sejm-Wahl unter der Fünf-Prozent-Hürde gelandet war. Auch die 1,26 Prozent für die Unternehmerin Henryka Bochniarz von der linksliberalen PD werden Tusk helfen. Die 1,4 Prozent, die das monarchistisch-libertäre "enfant terrible" Janusz Korwin-Mikke gewählt haben, werden wohl ebenfalls Tusk bevorzugen.

Zählt man beide Stimmpotentiale zusammen, ist es durchaus denkbar, daß Tusks knapper Vorsprung bei der Stichwahl nicht ausreichen könnte und so ein Sieg für Kaczynski möglich würde. Wichtig ist zudem die Haltung der katholischen Kirche. Der konservative Teil des Klerus hat sich wie die nationalkatholischen Medien - mit dem Sender Radio Maryja an der Spitze - offen für Kaczynski ausgesprochen. Die etwa acht Prozent LPR-Anhänger haben schon in der ersten Runde für Kaczynski votiert.

Die linken und liberalen Medien, die ausländischen Investoren gehören, sowie das Staatsfernsehen werben unverdrossen für Tusk. Zudem sind dessen Anhänger - Studenten, "Besserverdienende", Großstädter - leichter mobilisierbar, aber weniger zahlreich in Polen, das zu den ärmsten EU-Ländern zählt. Außenpolitisch würde dieser sicher moderater und kompromißbereiter auftreten - hinter den Kulissen aber um so härter (und wohl geschickter) nationalpolnische Interessen vertreten.

Doch egal, ob der 48jährige Tusk oder der 56jährige Kaczynski das Rennen macht: Das Verhältnis Berlin-Warschau dürfte sich schwieriger gestalten. Die Milliarden-Drohung mit Reparationsforderungen an Deutschland wurde von PO und PiS im Sejm gemeinsam beschlossen. "Provokationen durch anhaltende Ansprüche von deutscher Seite können wir keineswegs hinnehmen" - diese Aussage von Kaczynski zu den (wohl aussichtslosen) Forderungen der Preußischen Treuhand im JF-Interview hätte auch von Tusk stammen können.


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