© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Entdeckungsreise nach Einlaßkontrolle
Eine Ostpreußen-Ausstellung im brandenburgischen Caputh wurde unter dem deutsch-polnischen Aussöhnungsdiktat konzipiert
Peter Wasmund

Ausgerechnet im abgelegenen Schloß der Havelgemeinde Caputh bei Potsdam, genauer in dessen Kavaliershäuschen, geht in diesen Tagen eine Ausstellung zu Ende, die dem wilhelminischen Ostpreußen des "langen Friedens" vor 1914 gewidmet war. Die Wahl eines solchen weltfernen Ausstellungsortes mit bescheidenen fünfzig Quadratmetern, in denen kaum drei Dutzend Aufnahmen aufgehängt werden konnten, könnte den Verdacht wecken, hier sollte etwas versteckt werden. Zumindest dürften sich die Anstrengungen in engen Grenzen gehalten haben, Fotografien aus Ostpreußen im Imperium der Preußische Schlösser und Gärten GmbH, zu dem Caputh zählt, oder der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zentraler zu plazieren. Ausstellungsfläche wäre sicher auch im Zentrum Berlins vorhanden gewesen.

Erinnerung nur im Paket mit Integrationsideologie

Jenen Ostpreußen-Enthusiasten, denen Caputh keine Reise wert war, ja, die nicht einmal von dieser Ausstellung erfahren haben, sei der Katalog empfohlen. Der bietet 130 Aufnahmen aus der ostpreußischen Alltagswelt, darunter 70 ganz vorzügliche Ausschnittvergrößerungen, deren Motive ohne Ausnahme geeignet sind, wie das berühmteste Teegebäck der Weltliteratur, Prousts Madeleine, zu einer Entdeckungsreise in die Tiefen der Erinnerung anzuregen.

Die "Erinnerung" steht aber bekanntlich nicht einfach so zum beliebigen Gebrauch zur Verfügung. Erinnerung ist nur im Paket zu haben, wie dieses Ausstellungsprojekt und der dazugehörige Katalog aufs Schlagendste beweisen. Wer sich erinnern will, findet sich im Labyrinth namens "kollektives Gedächtnis" wieder. Um die Einlaßkontrolle kümmern sich hingebungsvoll Hundertschaften der Bewußtseinspolizei. Denn der in erster Linie für den Steuerzahler so teuren wie intensiven bundesdeutschen "Gedächtnispflege" begegnet man überall, wo es sich um geschichtspolitisch extrem "sensible" Materien handelt. Also dort, wo "Erinnerungen" der Staatsraison unterworfen werden und die Stabilität von Sozial- und Sinnstrukturen - soweit historisch fundiert - gefährdet erscheint.

Ein Segment solcher mittlerweile gesamtdeutschen Integrationsideologie ist die offiziöse Version des Schicksals der preußischen Ostprovinzen: Das deutsche Reichsgebiet östlich von Oder und Neiße gehöre heute zu Polen, als "gerechte" Strafe dafür, daß die Deutschen den Zweiten Weltkrieg an Weichsel und Warthe auslösten und den "überfallenen" Warschauer Untertanen alsdann allerlei Unbill zumuteten. Nur auf diesem Konstrukt der deutschen "Täter" und der polnischen "Opfer" beruht seit vierzig Jahren jene ominöse "Aussöhnung". In der Berliner Republik dürfte der von zahllosen "Schulbuch"-Kommissionen verordneten Polonophilie also inzwischen die ideologische Valenz der dem SED-Regime einst so überaus teuren deutsch-sowjetischen "Waffenbrüderschaft" zukommen.

Daß selbst eine randständige Foto-Ausstellung über Ostpreußen aus diesem Schema nicht herausfällt, dafür sorgt in diesem Fall die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Nicht verwunderlich, daß der Stiftungsvorstand in seinem Geleitwort von Ostpreußen als einem "Gebiet" spricht, welches "immer von Menschen verschiedener Religionen, Nationalitäten und Muttersprachen bewohnt war". Wo derart modisch Ostpreußens Multikulturalität zelebriert wird, darf Andreas Kossert vom Deutschen Historischen Institut in Warschau nicht fehlen. Er war diesmal jedoch nur für die Endredaktion der deutschen Texte zuständig. Davon gab es, abgesehen von einer kurzen Betrachtung Arno Surminskis und den deutschsprachigen, den polnischen klar nachgeordneten Bildunterschriften, nicht viele. Denn vornehmlich erhalten zwei polnische Historiker die Chance, ihre Deutungshoheit zu festigen: Robert Traba von der in Masuren und im Ermland recht rührigen Kulturgemeinschaft Borussia und Jan Przypkowski, dessen Essay sehr sachkundig über Herkunft und Schicksal der aus den 1893 angelegten Beständen des Königsberger Provinzialdenkmalamtes stammenden Fotografien informiert. Die 6.600 Negative, zwischen 1893 und 1942 entstanden, wurden seit 2001 mit Bucerius-Geldern neu katalogisiert und sogar digitalisiert. Einen kleinen Teil davon findet man auch im Internet (www. archiv-ostpreussen.de).

Mit einiger Penetranz konstatiert Przypkowski, daß die Provinz Ostpreußen 1945 "durch die polnische Verwaltung übernommen" worden sei. Und ebenso wie andere deutsche Kulturgüter habe man die ausgelagerten Königsberger Akten und die Negative des Denkmalamtes auf einem Abstellgleis in Thorn "sichergestellt". Ein Gebaren, welches eigentlich völkerrechtswidrig ist und als Kunstraub bezeichnet werden müßte. Eigenartig berührt, daß im Untertitel des Katalogs vom "ehemaligen Ostpreußen" die Rede ist. Würde man in einer Ausstellung über die Französische Revolution vom "ehemaligen Paris" sprechen? Unverständlich bleibt, welche Funktion in diesem Kontext die ostentativ falsche Datierung (1937 statt 1932) des Fotos einer Scheunenwand im Kreis Lyck erfüllt, die mit "Wählt Hitler" beschriftet ist.

Beleg einer Polonisierung ostdeutscher Geschichte

Wenn sich in Ostpreußen die "unterschiedlichen Kulturen und Nationen überschneiden", wenn dort keine Deutschen, sondern "Masuren, Ermländer, preußische Litauer und Königsberger" (Traba) lebten, warum zeigen dann wohl die Schilder der Geschäfte, Hotels, Brauereien, Bahnhöfe und Postämter in Wehlau, Allenburg, Goldap, Insterburg, Königsberg, Fischhausen, Lötzen, Landsberg, Mohrungen und Goldap ausschließlich deutsche Beschriftungen? Die vielen schönen Bilder führen offensichtlich den ideologisch motivierten Versuch ad absurdum, Ostpreußen retrospektiv in einen Flickenteppich regionaler Identitäten zu verwandeln. Seit langem steht die Warnung vor der "Polonisierung" ostdeutscher Geschichte im Raum. Diese Präsentation ostpreußischen Alltagslebens dokumentiert, daß nicht allein der Elfenbeinturm akademischer Historiographie davon bedroht ist.

Foto: Fischerfrauen in Pillkoppen (vermutlich 1906): Modisch wird Multikulturalität in Ostpreußen zelebriert

Ausstellungskatalog: Fotograf przyjechat! Der Fotograf ist da! Die Bewohner des ehemaligen Ostpreußen auf alten Aufnahmen des Denkmalamtes Königsberg. Instytut Sztuki Polskiej Akademii Nauk, Warschau 2005, 172 Seiten, Abbildungen, 19,80 Euro


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