© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Das Risiko der eigenen Meinung
Der "Fall Cicero" und die neuentbrannte Debatte um Pressefreiheit in Deutschland
Dieter Stein

Der "Fall Cicero" beschäftigt seit Wochen die deutschen Medien. Unisono wird das Vorgehen von Bundesinnenministerium, Staatsanwaltschaft und Polizei gegen das in Potsdam erscheinende Monatsmagazin als Eingriff in die Pressefreiheit kritisiert - mit Recht übrigens.

Hintergrund: Der von dem ehemaligen Welt-Chefredakteur Wolfram Weimer geleitete Cicero hatte im April einen Beitrag des Journalisten Bruno Schirra über die Verbindung des Top-Terroristen Abu Musab al-Zarqawi zum Iran und dessen Pläne für ein Chemieattentat gedruckt. Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Potsdam und mit Billigung des Bundesinnenministeriums unter Otto Schily (SPD) fand am 12. September die Durchsuchung der Redaktionsräume und der Privatwohnung Schirras statt. Gesucht wurden geheime Unterlagen des BKA bzw. Hinweise auf eine undichte Stelle im BKA, die Geheiminformationen an den Journalisten weitergegeben hatte.

Allgemein wird die Durchsuchungsaktion, bei der die betroffene Redaktion und der Journalist in seiner Arbeitsfähigkeit empfindlich getroffen ist, als unverhältnismäßig kritisiert. Der "Fall Cicero" ist jedoch kein Einzelfall. Nach Angaben des Deutschen Journalistenverbandes fanden zwischen 1987 und 2000 etwa 150 Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in Redaktionen und Verlagen statt.

Aber: Das einstimmige Lamento über den Angriff auf die Pressefreiheit klingt heuchlerisch. Zwar herrscht im Fall des gediegenen Monatsmagazins aus dem Schweizer Ringier Verlag helle, einstimmige Empörung. In einem anderen Fall herrscht seit Jahren aber ohrenbetäubendes Schweigen: Knapp zehn Jahre mußte die JUNGE FREIHEIT gegen das NRW-Innenministerium prozessieren, bis das Bundesverfassungsgericht im Mai diesen Jahres die skandalöse Praxis des NRW-Verfassungsschutzes, diese Zeitung in ihren Jahresberichten unter Extremismusverdacht zu stellen, für verfassungswidrig erklärte.

Zehn Jahre war den großen Blättern, die im Fall Cicero nun - berechtigt - auf die Barrikaden gingen, dieser himmelschreiende Skandal nicht ein Sterbenswörtchen zum "Fall JF" wert. Statt dessen gab es immer wieder klammheimliche Freude über diesen Mißbrauch staatlicher Macht, dem erst das höchste Gericht Einhalt gebieten mußte.

Dies weist darauf hin, daß in ihren Wirkungen schlimmer noch als konkrete staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit die selbstauferlegten Tabus, die Scheren im Kopf der Zunft sind, die die Meinungsvielfalt auf einen schmalen Grat reduzieren. Es ist diese in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Taktgebern eines halbtotalitären Zeitgeistes vollzogene Tätigkeit als "Meinungssoldaten" (Martin Walser), die Journalisten fast nach militärischem Drill im Gleichschritt marschieren, konditioniert als Rädchen in politisch-publizistischen Kampagnen-Maschinen funktionieren läßt. Journalisten und ihre Zeitungen erinnern dann regelmäßig an aufgescheuchte Hammelherden, in die der Wolf hineingefahren ist. Oder sie ziehen wie die Lemminge einem Zeitgeist hinterher, der den Untergang verheißt.

Zur Pressefreiheit gehört immer eine kritische, virulente Gruppe von unabhängigen Journalisten, Publizisten und Verlegern, die notfalls ihre Karriere für ihre Meinung riskieren, die sich nicht durch von Großverlagen verordnete Redaktionsstatuten disziplinieren lassen, wie sie die innen- oder außenpolitische Realität zu interpretieren haben. Die dem eigenen Gewissen, der Wahrheit und dem publizistischen Auftrag im Dienst der Leser verpflichtet sind und dafür auch in einen Kampf eintreten.

Immer schwerer wird der Weg einer freien Publizistik jedoch angesichts der rapide fortschreitenden Konzentration im deutschen Presse- und Verlagswesen, die ihr übriges tut, um die Räume für unabhängige Positionen, für unabhängige Journalisten zu verkleinern. Die allerwenigsten Zeitungen in Deutschland sind noch konzernunabhängig, die meisten scheinbar unabhängigen Titel gehören zu unübersehbar wuchernden Megakonzernen, die Presse, Buch und alle Formen elektronischer Medien miteinander vereinigen.

In kaum einer Region in Deutschland, gibt es noch tatsächlich konkurrierende Regionalzeitungen. Flächendeckend sind selbständige Zeitungen geschluckt und in Mantelausgaben integriert worden. Sich byzantinisch gebärdende Großverlage diktieren in ihrem Gebiet, was öffentlich wahrgenommen wird und was nicht. Überregional kann man die konkurrierenden Zeitungen mittlerweile an zwei Händen abzählen. Publizistische Vielfalt wird hier zu einer Chimäre. Das Anzeigengeschäft bestimmt die Inhalte. Dieselben Blätter, die Korruption und Lobbyismus in der Politik anklagen, haben ihre publizistische Seele an Großkunden verkauft.

Branchendienste melden spektakuläre Übernahmegeschäfte aus dem Mediensektor. Wie eine Bombe schlug jetzt die Nachricht ein, daß der Berliner Verlag, in dem unter anderem die größte Abonnentenzeitung der Hauptstadt, die Berliner Zeitung, erscheint, an eine Gruppe britischer Finanzinvestoren verkauft werden soll (siehe Seite 14). Schon vergleichen Betriebsangehörige die mutmaßliche Übernahme mit dem Angriff Münteferingscher "Heuschrecken" .

Tatsächlich wäre dies die erste Übernahme eines Zeitungsverlages durch branchenfremde ausländische Investoren, die ausschließlich an Rendite und nicht an verlegerischen Zielen interessiert sind. Doch bereits hier stellt sich die Frage, welcher der Handvoll deutscher Medienkonzerne, die den Zeitungskuchen in Übernahmeschlachten weitgehend unter sich aufgeteilt haben, noch verlegerisches Interesse im ureigensten Sinne hat. Betätigen sie sich nicht schon jetzt wie die vielgescholtenen Heuschrecken?

Wodurch unterscheidet sich außerdem letztlich eine Beteiligung von britisch-amerikanischen Investmentgruppen von einer Beteiligung der Deutschen Bank am Springer Verlag, deren Eigentümerschaft auch jederzeit durch Verkauf wechseln kann und die sich als "global player" und nicht mehr als nationales Unternehmen versteht?

Es entbehrt nicht einer gewissen bitteren Ironie, daß diejenigen, die ununterbrochen das Loblied auf die Segnungen von Globalisierung und Auflösung nationaler Souveränität, das Heil offener Grenzen und ungetrübter kosmopolitischer Weltsicht singen, plötzlich selbst betroffen sind. Nun erregen sie sich über ausländische Investoren, als handele es sich um einmarschierende Besatzungstruppen.

Vielleicht schlägt gerade jetzt im Moment wachsender Konzentration die Stunde der unabhängigen, kleinen, nicht korrumpierbaren Verlage. Meinungsfreiheit kann sich letztlich nur anarchisch ihre Bahn brechen.


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