© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Gedämpfte Auseinandersetzung um letzte Fragen
Lebensrecht: Mit seinem Vorstoß für die Legalisierung der Sterbehilfe hat der Hamburger Justizsenator Kusch eine Grundsatzdebatte ausgelöst
Marcus Schmidt

Die gezielte politische Provokation bedarf einer gewissen Vorbereitung. Vor allem gilt es das Umfeld zu sondieren. Je massiver der Regelverstoß ausfallen soll, um so klüger ist es, sich für die Attacke einen Zeitpunkt auszusuchen, der einerseits ein hinreichendes Maß an Aufmerksamkeit für das eigene Anliegen gewährleistet, gleichzeitig den Angriffswilligen jedoch nicht zum alleinigen medialen und politischen Ereignis macht. Ein Zuviel an Aufmerksamkeit bei unbequemen Themen hat schon mancher politischen Karriere ein vorzeitiges Ende bereitet.

Wenn man nach diesen Maßstäben urteilt, dann hat der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) den Zeitpunkt für seinen Vorstoß perfekt gewählt. Inmitten der sich anbahnenden zweiten Großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik stellt er das menschliche Leben in Frage oder, will man ein milderes Urteil sprechen, bricht er eine Lanze für den selbstbestimmten Tod von Schwerkranken. Das beschriebene Umfeld, in dem der Senator der Hansestadt seine wohlkalkulierte Regelverletzung, sein Plädoyer für die aktive Sterbehilfe plaziert hat, erklärt, warum die sich daran anschließende Debatte bislang äußerst verhalten ausgetragen wird. Zwar haben sich seit Beginn der Diskussion in der vergangenen Woche alle maßgeblichen Personen zu den Vorschlägen geäußert: der politische Gegner, Parteifreunde, Kirchenvertreter und natürlich erklärte Verfechter der Sterbehilfe. Dennoch: Bislang verlief die Diskussion auffallend zurückhaltend und am äußersten Rand der öffentlichen Wahrnehmung. Am Thema und den Diskussionsbeiträgen lag das gewiß nicht.

Vergleich mit Abtreibungspraxis

Kusch hatte in einem Artikel für das Hamburger Abendblatt für die Änderung des Paragraphen 216 des Strafgesetzbuches plädiert, der Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt. Als Bedingung müsse ein Arzt die tödliche Krankheit des Betreffenden feststellen und diesen eingehend beraten. Zudem müsse eine notariell beglaubigte Erklärung des Patienten vorliegen, die bei vollem Bewußtsein abgegeben werden müsse. Dabei hatte er einen Vergleich mit der Abtreibung hergestellt. Während eine Schwangere sogar fremdes Leben zerstören dürfe, dürfe ein Todkranker nicht die Beendigung seines eigenen Lebens verlangen.

Für die am wenigsten überraschende Erwiderung auf diese Forderung, das aktive Töten von Menschen in Deutschland außerhalb von Strafe zu stellen, sorgte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die im Spiegel auf die historische Belastung des Themas verwies. Doch auch aus der eigenen, christdemokratischen Partei ist Kusch kaum Unterstützung zuteil geworden. Der Generalsekretär der CDU, Volker Kauder, sprach sich dafür aus, Sterbenden durch schmerzlindernde Medikamente und menschliche Fürsorge einen würdevollen Tod zu ermöglichen, statt die aktive Sterbehilfe zu legalisieren.

Die Kirchen reagierten mit unmißverständlichen Worten auf den Vorstoß des Politikers, der sich als "bekennendes Mitglied der Nordelbischen Kirche" bezeichnet. "Leben und Sterben des Menschen steht nach christlichem Verständnis in Gottes Hand. Beides liegt nicht in menschlicher Verfügungsmacht", teilte die Kirchenleitung der Nordelbischen Kirche mit. Vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken hieß es in einer Erklärung: "Auch das durch Krankheit oder Streben gezeichnete Leben hat als menschliches Leben eine unverlierbare Würde und ist unverfügbar."

Noch deutlicher formulierte der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospizstiftung, Eugen Brysch, seine Ablehnung. "Aus dem Munde eines Christdemokraten klingt eine solche Äußerung wie ein Schlag ins Gesicht der Schwächsten", zitiert ihn die Evangelischen Nachrichtenagentur idea.

Verständnisvoller klangen da die Äußerungen des rheinland-pfälzischen Justizministers Herbert Mertin (FDP). Wenn ein Patient die Beendigung eines von ihm selbst als menschenunwürdig empfundenen Zustands erbitte, so sei es ethisch und juristisch tolerierbar, auf eine Bestrafung des Arztes zu verzichten, der sich dem Willen des Patienten unterordne, sagte Mertin laut Welt.

Daß die Grenzverletzung wohlkalkuliert war, machte Kusch am vergangenen Wochenende nochmals deutlich. "Ursprünglich hatte ich vor, im November in zeitlicher Nähe zum Totensonntag und Volkstrauertag eine öffentliche Diskussion anzustoßen", sagte der Senator der Welt am Sonntag. Die Diskussion über den Schweizer Sterbehilfe-Verein Dignitas, der seine Dienste nun auch von Hannover aus deutschen Patienten anbieten will, habe "die Sache" beschleunigt. Ob die Debatte der Karriere des christdemokratischen Politikers aus Hamburg im gleichen Maße dienlich ist, wird sich zeigen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen