© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Die Woche
Glück auf, neue DDR!
Fritz Schenk

Das Gebäude ist imponierend, der Essen war gut und die Atmosphäre friedlich, optimistisch, so ließen sich Vertreter der Union nach der ersten Verhandlungsrunde über das Programm der Großen Koalition im Willy-Brandt-Haus vernehmen. Die nächste Zusammenkunft soll im Konrad-Adenauer-Haus stattfinden, und da werden wir ähnliches von den SPD-Vertretern hören. Vielleicht vom amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder, der fleißig mit an den Strippen zieht.

SPD-Chef Franz Müntefering hatte seine Truppe als erster aufgestellt. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel tat sich da schwerer. Horst Seehofer (CSU) wollte sie unbedingt draußen lassen. Sie unterlag sowohl Edmund Stoiber wie den Sozialausschüssen ihrer eigenen Partei. Seine Aufnahme in den Kreis der künftigen Minister verstärkt das sozialdemokratische Übergewicht ihrer Regierung, wenn sie denn Kanzlerin wird. Daran gibt es nach dem bisherigen Verlauf aber wohl keinen Zweifel mehr. Auch mit der Verteilung der übrigen CDU-Posten sind die Gewichte geordnet, die wichtigsten Landesfürsten haben ihre Statthalter in der künftigen Bundesregierung untergebracht.

Richtung und Kurs für das Koalitionsprogramm hatte zuvor schon der SPD-Vorsitzende festgelegt: Es wird in den nächsten vier Jahren keine Steuersenkungen geben, und das Regierungsprogramm muß "sozial gerecht" sein. Da die Union dem nicht widersprochen hat, muß sie sich also von so gut wie allem verabschieden, womit sie den Wahlkampf programmatisch bestritten hatte. Was dabei herauskommt, darf man aber durchaus als "Verwirklichung des Wählerwillens" bezeichnen.

War und ist nicht eine Mehrheit der Deutschen nach wie vor der Meinung, daß es so schlimm, wie seit Jahren dargestellt wird, weder bei Nationalsozialisten noch Kommunisten gewesen war? Alle hatten ihre Beschäftigung; Löhne, Renten und Preise waren "gerecht" geregelt; für Wohnen, Bildung, Ausbildung und Gesundheitswesen sorgte der Staat; die Kinder waren umsorgt - bei den einen durch die Hitler-Jugend, bei den andern durch die Freie Deutsche Jugend; für allgemeine Ordnung und Betreuung sorgten Haus-, Straßen- und sonstige "Obleute"; man wußte immer, an wen man sich zu wenden hatte, wenn irgendwo was "nicht stimmte". Gewiß: Gestapo und Stasi, Krieg, Konzentrationslager, Mauer, Reiseverbot und Zensur waren Überspitzungen. Aber damit ist es ja vorbei. Und das wird auch nicht wiederkommen. Doch für unsere Grundbedürfnisse hat der Staat "gerecht" zu sorgen! Wer das Wahlergebnis anders deutet, denn als Ausdruck solcher Grundstimmungen, irrt.

Wenn es bei den Vorgaben der SPD bleibt, wird ein Koalitionsvertrag herauskommen, der den deutschen Versorgungs- und Betreuungsstaat komplett macht. Die beiden großen Parteien werden damit keine Probleme bekommen. Ein solches System eröffnet auf allen Ebenen ausreichend Posten, mit denen treue Parteigänger bedient werden können. Das wird den Parteien auch wieder Auftrieb für neue Mitglieder geben. Mitte November wollen die Koalitionäre den Regierungsvertrag fertig haben und von Parteitagen beschließen lassen. Wir dürfen gespannt sein, ob die Unionsparteien ihre Kongresse noch wie bisher mit dem Deutschlandlied beenden - oder wie ihr Partner mit dem "Brüder zur Sonne, zur Freiheit". Aber dafür dürfen sie sich wohl noch ein wenig Zeit lassen.


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