© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Unter dem Diktat der Gesinnung
Pressefreiheit: Tabus, Verdrängungen und Hysterie-Kampagnen - die "vierte Gewalt" nimmt ihre Tranzparenzfunktion kaum noch wahr
Doris Neujahr

Alle unsere Zeitungen sind nichts anderes als wiedergekäute Gewäsche von Alltagsgeschichten und Lobsprüchen auf Regenten, die wir nicht einmal kennen. Den Zeitungsschreiber möcht' ich sehen, der vors Publikum träte und mit Gewitterberedtsamkeit spräche (...) Wo ist der Märtyrer, der, mit vaterländischer Glut im Gesicht, auch den Fürsten heiße Wahrheiten ins Antlitz spricht? Da heißt's immer: Setz dich hin, Zeitungsschreiber, sei kalt wie Alpenschnee und schreib, was die Handwerksbursche auf den Bierbänken leiren, kriech vor jedem goldrockigem Schurken, verbräm deine Zeitungen mit Steckbriefen auf Spitzbuben und Lottozahlen; erzähl Hanswurstpossen, daß der Müßiggänger im Kaffeehaus laute Lache drüber anschlägt." So schrieb der Stürmer und Dränger Christian Friedrich Daniel Schubart in der "Deutschen Chronik" am 19. Juni 1775. Seine Philippika betitelte er: "Zeichen der Zeit". Der Herzog von Württemberg verstand sie und kerkerte den Autor zehn Jahre ein.

Private Nischen als Orte angstfreier Kommunikation

Schubarts Pathos und Schicksal gemahnen daran, daß der Kampf um die Freiheit der Presse der politischen Freiheit überhaupt gilt und in Zeiten der Unfreiheit entsprechend riskant ist. Es bedurfte, wie Jürgen Habermas in seiner Untersuchung zum "Strukturwandel der Öffentlichkeit" darlegte, erst der Etablierung des bürgerlichen Rechtsstaats und der Legalisierung einer politisch agierenden Öffentlichkeit, um die obrigkeitsstaatlichen Reglementierungen zu beseitigen, die die Presse zum bloßen Gewerbe, zur Hanswurstposse eben, herabstuften, um aber auch die Selbstthematisierung der politischen Presse und ihre Gesinnungsbekenntnisse, die unter dem Eindruck fürstlicher Willkür nur zu verständlich waren, zu überwinden. Es begann der Siegeszug der bürgerlichen Zeitungen, welche "gegen die Arkanpolitik der Monarchen" die Publizität durchsetzten, die Personen oder Sachen unter die Kontrolle des öffentlichen Interesses stellten und "politische Entscheidungen vor der Instanz der öffentlichen Meinung revisionsfähig" machten.

Theoretisch gilt dieser Anspruch bis heute. Die Pressefreiheit ist als Voraussetzung für die öffentliche Kommunikation und Herzstück der Demokratie akzeptiert. Den Medien werden drei Kernaufgaben zugeschrieben: Erstens stellen sie Transparenz her, indem sie die Bürger über die politischen Vorgänge informieren und in die Lage versetzen, ihre Bedeutung zu verstehen. Zweitens bieten sie eine Plattform, auf der Informationen, Themen und Meinungen miteinander konkurrieren. Der Bürger bekommt Gelegenheit, die eigene Position im Lichte anderer Positionen zu reflektieren. Drittens führt der öffentliche Austausch von Information und Meinungen zur Herausbildung der "öffentlichen Meinung", die dem Bürger Orientierungshilfe leistet. Die Presse als "vierte Gewalt" im Staat dient der Selbstverständigung der Gesellschaft und der öffentlichen Kontrolle der Politik. Natürlich handelt es sich bei dieser Beschreibung um ein Ideal, das nie erreicht, aber stets gefährdet ist.

Diktatur und Pressefreiheit stehen per se auf Kriegsfuß. Die DDR-Führung konnte freie Medien und die Öffentlichkeit, die sie herstellen, aus Gründen der Selbsterhaltung nicht zulassen. Das "Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie" (Ost-Berlin 1977) kennt das Stichwort "Öffentlichkeit" gar nicht und verkürzt die "öffentliche Meinung" auf den dogmatischen Topos des "sozialistischen Bewußtseins". Die SED-Führung hatte das Zugangsrecht zu Informationen monopolisiert und bestimmte, in welchem Umfang und in welcher Weise sie verbreitet und referiert wurden. Das Ergebnis war die totale Realitätsverleugnung in den öffentlichen Medien. Die Bürger entrichteten dieser Politik den fälligen Tribut, indem sie zum Beispiel für die allabendliche Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" ihre Begeisterung über die neuesten Plankennziffern aus der SED-Zentrale bekundeten. Im übrigen wichen sie in eine informelle Öffentlichkeit aus: In den Konsum des Westfernsehens, in private Nischen als Orte relativ angstfreier Kommunikation oder in die Ersatzöffentlichkeit der Literatur, die eine streng dosierte Narrenfreiheit genoß. Einen Ausgleich für die Informations- und Artikulationsdefizite konnten diese Fluchtbewegungen nicht bieten, es handelte sich um Kompensation statt um Emanzipation. Auch deshalb war die Lähmung und Depression des Landes unaufhaltsam. Als die DDR 1989/90 implodierte und von der Bundesrepublik absorbiert wurde, waren ihre entmündigten Bürger nicht in der Lage, eigene Interessen und Ideen adäquat zu formulieren und wurden erneut zu bloßen Objekten der Politik. Dem vereinigten Deutschland müßte diese Erfahrung als Warnung vor Augen stehen!

Autoritäre und lebensferne Volkspädagogik

Theoretisch haben wir es gut, denn die Pressefreiheit wird durch das Grundgesetz verbürgt. Selbstverständlich ist sie dennoch nicht. Sogar die Adenauer-Zeit, die bei objektiver Betrachtung als die Periode der größten geistigen Freiheit in der deutschen Nachkriegsgeschichte erscheint, kennt prominente Gegenbeispiele. Die Journalistin Margret Boveri verzichtete auf den Eintritt in die FAZ-Redaktion, weil sie ihre deutschlandpolitischen Überlegungen, die quer zur Regierungspolitik lagen, dort nicht veröffentlichen durfte. Sogar in ihrer Korrespondenz, schrieb sie rückblickend, habe sie "Enthaltsamkeit" geübt. "Wir wußten, daß unsere Telefone von der Besatzungsmacht überwacht, unsere Briefe zensiert wurden. Es gab außerdem eine Art von Rufmord für diejenigen, die die offizielle Politik nicht akklamierten." Paul Sethe, ebenfalls ein Gegner der einseitig westorientierten Politik Adenauers, mußte als FAZ-Herausgeber abtreten, nachdem der Kanzler die Wirtschaft zum Anzeigenboykott aufgefordert hatte.

Die Befürchtung, die Habermas in seiner Habilitationsschrift äußerte: die kritische Öffentlichkeit würde durch "kollektiv organisierte Privatinteressen" und "durch Parteien, die sich, mit Organen der öffentlichen Gewalt zusammengewachsen, gleichsam über der Öffentlichkeit etablieren", ausgehebelt, daher drohe die Rückkehr zur Arkan-Politik, war zwar wenig originell, doch deswegen keineswegs aus der Luft gegriffen. Seine Kritik hatte eine klare politische Zielrichtung, sie war, wie er 1990 selbstkritisch schrieb, dem "Konzept einer Weiterentwicklung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates zur sozialistischen Demokratie verpflichtet". Diese Stimmung war unter den jüngeren Intellektuellen weit verbreitet. Entsprechend ging es ihnen während der Spiegel-Affäre 1962 - aufgrund eines kritischen Artikels über die Bundeswehr war die Spiegel-Redaktion durchsucht und Rudolf Augstein verhaftet worden; als Initiator der Aktion wurde der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß verdächtigt - nicht nur um den Schutz der Pressefreiheit, sondern um einen grundlegenden Wechsel des Politik-und Staatsverständnisses. Das Protesttelegramm, das nahmhafte Intellektuelle an Bundespräsident Heinrich Lübke richteten, begann mit den Worten: "In brennender Sorge um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit" und stellte einen Zusammenhang zur päpstlichen Enzyklika "Cum Cura ardenti" von 1937 her, in der Pius XI. Protest gegen die NS-Rassenlehre erhoben hatte. Die geballte Gegenwehr traf auf ein bürgerliches Regierungs- und Meinungslager, das durch Presseveröffentlichungen über vermeintliche oder tatsächliche NS-Verstrickungen hoher Politiker und neonazistische Übergriffe (heute weiß man, daß es sich teilweise um Inszenierungen der Stasi handelte) bereits tief verunsichert und in die Defensive gedrängt war und jetzt moralisch sturmreif geschossen wurde. Was bis heute als größte Stunde der Pressefreiheit gefeiert wird, läutete ihren Niedergang ein. Das Vordringen des Gesinnungsjournalismus bis in den Hof der politischen Macht war nun nicht mehr aufzuhalten.

Eine perverse Identität von Geist und Macht

Elisabeth Noelle-Neumann hat diese Entwicklung in das Bild der "Schweigespirale" gefaßt. Demnach werden Anhänger einer Meinung schweigsam und vorsichtig, wenn sie das Gefühl haben, in der Minderheit zu sein. Dadurch verstärkt sich der Eindruck der eigenen Schwäche, was die Furcht vor sozialer Isolation und damit den Konformitätsdruck nochmals potenziert. Am Ende steht der Untergang dieses Meinungslagers. Die Vorherrschaft der Deutungsmuster bzw. die kulturelle Hegemonie ist erreicht, wenn Alternativen nicht geäußert werden können, ohne Sanktionen zu befürchten. Man kann von einer Zerstörung der Pressefreiheit von innen sprechen. Die Regionalpresse, die schwerer zu überschauen und zu steuern war als die großen Medien, verzögerten diesen Trend zur Meinungsangleichung zwar, doch verhindern konnten sie ihn nicht. Selbst der mächtige Springer-Verlag sah sich zu Konzessionen gezwungen, und 1988 wurde Gerhard Löwenthals "ZDF-Magazin", das letzte politische Magazin mit einer klar antikommunistischen Ausrichtung, eingestellt.

Wegen ihrer linksliberalen Meinungsdominanz konnte die Presse ihre Transparenz- und Podiumsfunktion kaum noch wahrnehmen, und ihre Orientierungsfunktion verkam zur autoritären wie lebensfernen Volkspädagogik. Der zur Stummheit verdammte Demos zog sich, analog zu den Nischen in der DDR, an den "Stammtisch" zurück. Die fortschreitende Mediatisierung der Politikvermittlung vergrößerte den Einfluß der linken und linksliberalen Medien auf die Politik zusätzlich. Wohl erwies Helmut Kohl sich 16 Jahre lang als unbesiegbar, doch der Preis, den er zahlte, war eine Politik, die die Fehler von Linken und Liberalen nahtlos fortsetzte.

Die deutschen Medien nach 1990 sind erst recht kein Ruhmesblatt. Wichtige Themen wie die demographische Entwicklung, die Euro-Einführung, die illegale Zuwanderung, Ausländerkriminalität, die Ideologie des Multikulturalismus und der vorgesehene EU-Beitritt der Türkei wurden tabuisiert, verdrängt, in einem gleichgeschalteten Vokabular verhandelt. Höhepunkte des Versagens waren die Hysterie-Kampagnen gegen "Rechts", die im "Aufstand der Anständigen" gipfelten. Ein weiteres schwerwiegendes Versagen ist die Akklamation von Strafgesetzen, die die Art und Weise, in der über geschichtliche Vorgänge und über empirische Tatsachen in der Gegenwart gesprochen und geschrieben werden darf, dogmatisch festlegen und die Anrufung des Verfassungsschutzes als Entscheidungsinstanz über die Pressefreiheit. Man könnte das eine perverse Identität von Geist und Macht nennen.

Doch die Früchte dieses Sieges schmecken zunehmend bitter, und die Verdrängungsmacht der Medienmacher endet dort, wo die Realität ihren Verdrängern eines Tages um so schmerzhafter auf die Füße fällt. Auch legen neuartige wirtschaftliche Zwänge eine ideologische Abrüstung nahe. Schließlich ist die Lebenswelt der Journalisten genauso Veränderungen unterworfen wie die der Leser. Symbolische Ersatzhandlungen verlieren rapide an Wert. Symptomatisch dafür ist die Abkehr der liberalen Leitmedien Spiegel und Stern vom "Medienkanzler" Schröder. Die Gefahren des Islamismus und Terrorismus haben den Bedarf an "wiedergekäutem Gewäsch" über die lustige Multi-Kulti-Welt gegen Null sinken lassen, und sie sprengen - wie die aktuelle Cicero-Affäre spektakulär zeigt - die fatale Meinungs- und Interessenidentität von etablierten Medien, Politik und Staatsorganen wieder auf.

Die Aussichten auf die Revitalisierung der Pressefreiheit von innen stehen also nicht ganz schlecht.

 

Stichwort: Ansehen der Journalisten

Wenn es um die Berufe geht, die die Deutschen schätzen, vor denen sie am meisten Achtung haben, ist der Beruf des Journalisten am untersten Ende der Skala zu finden. Die Allensbacher Berufsprestige-Skala 2005 brachte es an den Tag: Rang 18 von 22 für die Journalisten mit ganzen zehn Prozentpunkten. Gleichauf mit dem Beruf des Offiziers. Schlechter schneiden nur noch Buchhändler (7 Prozent), Politiker und Fernsehmoderatoren mit je sechs und Gewerkschaftsführer mit ganzen fünf Prozent ab. An der Spitze rangieren die Ärzte (71). Auch die Polizisten stehen nicht schlecht (40), ebenso die Pfarrer (34). Selbst Manager in Großunternehmen sind mit 14 Prozent höher angesehen als Journalisten.


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