© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Frisch gepresst

Baltische Geschichte. Um 1975 kursierte unter den Studenten der Universität Kiel ein böser Witz: Um den 1904 in Pleskau/Estland geborenen, emeritierten Osteuropahistoriker Georg von Rauch zu erkennen, müsse man nur warten, bis er wieder einmal mit dem Doktoranden Michael Garleff Fahrstuhl fahre - der Mann mit dem jugendlichen Feuer neben dem früh gealterten Greis, das sei der Herr von Rauch. Nun ist Garleff selbst Emeritus und wird mit einer Festschrift zum 65. Geburtstag geehrt, die Gert von Pistohlkors und Matthias Weber herausgegeben haben (Staatliche Einheit und nationale Vielfalt im Baltikum, R. Oldenbourg Verlag, München 2005, 264 Seiten, gebunden, 24,80 Euro) und zu der der Jubilar eine knappe biographische Skizze seines Lehrers beisteuert, die etwas von der prägenden Kraft und der ihn bis heute gefangen haltenden Faszination Georg von Rauchs verrät. Im Vergleich mit dieser Historikergeneration, die sich intensiv um den großen Nachbarn Rußland gekümmert hat, hatte Garleff stets speziell die Geschichte des Baltikums im Blick. An seinem Spektrum orientieren sich auch die Beiträge der Festschrift, die ganz in den Grenzen der "baltischen Region" verharren, wobei Jörg Hackmann über Werner Hasselblatt als Komplizen der NS-Bevölkerungspolitik in Osteuropa dem Zeitgeist die heftigsten Avancen macht.

 

Ernst Topitsch. Karl Acham hat zwei Aufsätze aus dem Nachlaß des 2003 verstorbenen Grazer Sozialphilosophen Ernst Topitsch herausgegeben: die ideologiekritische Fingerübung "Überprüfbarkeit und Beliebigkeit" und den leider viel zu knappen "Blick zurück auf die geistige 'Welt von gestern'", die Wiener Universität vor dem Zweiten Weltkrieg, wo der Gelehrte 1939 sein Studium begann. Der Titel ist ein verzeihlicher Etikettenschwindel, denn tatsächlich füllt der Herausgeber Acham mit dem Abdruck seiner Totenrede und seiner ganz vorzüglichen "wissenschaftlichen Würdigung" des "Weltanschauungsanalytikers" Topitsch den größeren Teil des Büchleins. Besonders im Kontrast zu den "emanzipatorischen Erbaulichkeiten", die der "politisch Moralismus" eines Habermas und seines Anhangs "politologisch tätiger Gesinnungswarte" zu bieten haben, erscheint der "liberal-konservative Zeitdiagnostiker" und Ideologiekritiker Topitsch bei Acham mit guten Gründen als der bedeutend klügere Kopf (Böhlau Verlag, Wien 2005, 149 Seiten, gebunden, Abbildungen, 19,90 Euro).


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen