© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Gute Reise nach Berlin
Der Machtkampf um die Nachfolge Edmund Stoibers entzweit die CSU
Paul Rosen

Im bayerischen Erbfolgekrieg hat es eine unerwartete Wendung gegeben. Der bisher beim Kampf um die Nachfolge des wahrscheinlich als Wirtschaftsminister nach Berlin wechselnden Ministerpräsidenten Edmund Stoiber vorn gesehene Innenminister Günther Beckstein hat Rückschläge hinnehmen müssen. Sein Kontrahent, der bayerische Staatskanzleichef Erwin Huber, holt auf. Stoiber, der derzeit in Berlin mit der Regierungsbildung voll beschäftigt ist, konnte keinen der Kontrahenten zum Verzicht überreden. So erlebt die CSU ein Novum in ihrer Parteigeschichte: Die Landtagsfraktion darf am 15. November abstimmen, ob sie den katholischen Niederbayern Huber oder den protestantischen Franken Beckstein an der Spitze der Staatsregierung sehen will.

So viel Basisdemokratie hatte von der CSU niemand erwartet. Aber die Entscheidungsfindung durch Abstimmung erklärt sich mit einer Schwäche der Führung und insbesondere von Stoiber. Dem CSU-Chef sitzt der Verlust von zehn Prozentpunkten bei der Bundestagswahl noch in den Knochen. Inzwischen vertritt er die Auffassung, daß Programmpunkte wie Mehrwertsteuererhöhung, Besteuerung von Arbeitnehmer-Zuschlägen und Einführung der (nicht mehr so genannten) Kopfpauschale der Union geschadet haben. Er versuchte, in Windeseile den Kurs seiner Partei zu ändern.

Und da sich Programmatik am besten an Namen festmachen läßt, holte er Horst Seehofer wieder zurück, der seit dem Streit um die Kopfpauschale in den Hintergrund getreten war. Seehofer wird jetzt Landwirtschaftsminister, was in Teilen der Partei, besonders unter den Bundestagsabgeordneten, zu einem Proteststurm führte. Das kostete Kraft, und Reibereien mit der designierten Kanzlerin Angela Merkel kamen hinzu.

Stoibers Gefolgsleute verbreiten jetzt die These, die Wahl des Ministerpräsidenten-Kandidaten durch die Landtagsfraktion sei doch ganz was normales und eine demokratische Selbstverständlichkeit. Verwiesen wird auf Baden-Württemberg, wo sich die Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Günther Oettinger und Annette Schavan, ebenfalls einer Abstimmung gestellt hätten. Doch bei der CSU, die ihre Führungsfragen bisher nur in Kungelrunden zu beantworten pflegte, überrascht die Entdeckung der Basisdemokratie dann doch.

Im Landtag verlangten zahlreiche Abgeordnete aus dem Beckstein-Lager eine schnelle Lösung der Nachfolgefrage. Der Innenminister und seine Anhänger waren offenbar der Ansicht, eine schnelle Entscheidung werde zu ihren Gunsten ausfallen. Alle Beobachter sahen zu diesem Zeitpunkt Beckstein klar in Führung vor Huber. Für die Wende sorgte Beckstein selbst. Nach einem Gespräch in der Staatskanzlei mit Stoiber, bei dem der CSU-Vorsitzende jeden Versuch einer schnellen Nachfolgeregelung ablehnte, wurde der Innenminister nervös. Er drohte: Wenn Huber das Rennen mache, werde er, Beckstein, sein Bundestagsmandat annehmen und nach Berlin gehen. Wörtlich sagte Beckstein: "Ich habe mir in den letzten Jahren einen eigenen Kopf erarbeitet, und dieser Kopf ist nicht willig, sich einem Erwin Huber unterzuordnen und von ihm Weisungen entgegenzunehmen."

Unter vielen Abgeordneten herrscht seitdem Fassungslosigkeit. Von Fahnenflucht und Erpressung ist die Rede. Der Nord-Süd-Frontverlauf in der CSU bricht auf. Bisher galt es als sicher, daß Beckstein die fränkischen CSU-Bezirke sowie das Allgäu hinter sich habe. Huber wurde dagegen in seiner niederbayerischen Heimat und in der Oberpfalz vorn gesehen. Wie sich München und Oberbayern verhalten, galt als unklar. Seit Becksteins Drohungen soll sich die Stimmung in Oberbayern klar zugunsten von Huber gedreht haben. Und selbst fränkische Landtagsabgeordnete sollen Beckstein inzwischen eine "gute Reise nach Berlin" gewünscht haben.

Im Gegensatz zu Beckstein versichert Huber treuherzig, auch unter dem heutigen Innenminister, wenn dieser Ministerpräsident werden sollte, in der Regierung zu bleiben. Das hörten die Landtagsabgeordneten genauso gern wie Hubers Hinweis, daß er Merkels Angebot, als Kanzleramtschef nach Berlin zu gehen, ausgeschlagen habe und Bayern den Vorzug geben wolle. Merkel hatte damit versucht, erneut in die CSU hineinzuregieren. Die designierte Kanzlerin wollte den, wie Delegierte auf dem Deutschlandtag der Jungen Union sagten, "neunten SPD-Minister" Horst Seehofer verhindern, den sie wegen des Streits um die Kopfpauschale nicht in ihrem Kabinett sehen mochte. Schon vorher war der Versuch der CDU-Chefin gescheitert, statt Seehofer den CSU-Landesgruppenchef Michael Glos ins Kabinett zu holen.

Und noch ein Faktor kommt für Huber hinzu. Wenn Stoiber nach Berlin geht, gibt es in Bayern Platz für neue Karrieren. Geht Beckstein ebenfalls, sind noch mehr Posten zu verteilen. Das wird viele für Huber votieren lassen und möglicherweise noch zu einer Überraschung führen. Sollte Beckstein tatsächlich zu der Erkenntnis kommen, daß er die Kampfabstimmung in der Landtagsfraktion verliert, ist es denkbar, daß der Innenminister sang- und klanglos nach Berlin abreist. In diesem Fall wäre es mit der Basisdemokratie in der CSU schon vorbei, ehe sie begonnen hätte.


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