© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Kurzsichtiges Verschleudern
Finanzinvestoren: Dresden will seine städtische Wohnungsbaugesellschaft verkaufen / Angst vor "Heuschrecken" geht um
Paul Leonhard

Eine große Heuschrecke frißt den Schriftzug "Woba". Daneben steht die Forderung "Keine Stimme für die Woba-Verkäufer CDU und PDS". Das schwarzweiße Plakat, mit dem die Dresdner Jusos im Bundestagswahlkampf für die SPD warben, trifft den Nerv vieler Dresdner Bürger. Die Mieter von Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GmbH (Woba) sind seit Monaten beunruhigt. Denn von diesem Teil ihres Vermögens will die Stadt sich trennen.

Dresden befindet sich wie viele deutsche Kommunen in einer schwierigen Finanzsituation. 77 Millionen Euro muß die sächsische Landeshauptstadt jährlich allein für den Schuldendienst aufbringen. Insgesamt beträgt die Verschuldung rund 800 Millionen Euro. Der Stadtetat 2005 wurde vom Regierungspräsidium als Rechtsaufsichtsbehörde zurückgewiesen, da er ein Finanzloch von 45 Millionen Euro aufweist. Um - zumindest kurzfristig - Spielraum zu gewinnen, beschloß der Stadtrat nach heftigen Debatten erst einen Teil- und später den Komplettverkauf der knapp 48.000 Kommunalwohnungen. Mieter und Mitarbeiter sollen dabei aber durch eine Sozialcharta geschützt werden.

Die Stadträte von CDU und FDP stimmten geschlossen für die Veräußerung der Wohnungen. SPD, Grüne und die drei fraktionslosen Abgeordneten des Nationalen Bündnis (NB/darunter NPD-Vize Holger Apfel) dagegen. Teile der Bürgerfraktion (ein Zusammenschluß Freier Wähler und der Volkssolidarität) und eine Mehrheit der PDS-Fraktion votierten mit Schwarz-Gelb und ermöglichten so erst den Verkauf. Beide stehen deshalb vor einer internen Zerreißprobe.

So zog die PDS-Stadtverbandschefin Ingrid Mattern nach heftigen Angriffen aus den eigenen Reihen bereits die Konsequenzen und stellte ihren Posten zur Verfügung. Mattern zählt genauso wie die frühere PDS-Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski, die einst leidenschaftlich für Mieterinteressen und den Erhalt der Woba als kommunale Gesellschaft kämpfte, zu der knappen Mehrheit der PDS-Stadtratsfraktion, die für die Privatisierung gestimmt hatte.

Linkspartei, Grüne, SPD und andere sammeln dagegen derzeit mit Unterstützung des Mietervereins und des DGB Unterschriften für ein Bürgerbegehren, mit dem der Verkauf noch gestoppt werden soll. Man habe 15.000 Listen im Umlauf, sagte der Dresdner DGB-Chef Ralf Hron. Über 10.000 der bis 17. November notwendigen 63.000 Unterschriften seien bereits gesammelt.

Mit dem Verkauf würden die Löcher in Stadthaushalt nur provisorisch gestopft, warnt die Bürgerinitiative "Woba erhalten!": Die Veräußerung bringe erhebliche Nachteile für die Landeshauptstadt mit sich, da "sie sämtliche Einflußmöglichkeiten auf den Wohnungsmarkt und jährliche Woba-Gewinne in Höhe von zehn Millionen Euro einbüßen würde". Hartz-IV-Empfänger und Niedrigverdiener fänden noch schwieriger angemessenen Wohnraum. Die Absicherung der Interessen von Stadt und Mietern würde auch eine Sozialcharta, die weder insolvenzfest noch unbefristet gültig ist, nicht nachhaltig gewährleisten. Obendrein komme ein Totalverkauf ausschließlich an ausländische Fondsgesellschaften in Betracht, die auf pure Renditemaximierung orientiert sind, sagt Peter Bartels vom Mieterverein Dresden, einer der drei Einreicher des Bürgerbegehrens. Das stelle ein erhebliches Risiko zulasten von Mietern und Woba-Beschäftigten dar.

Die Bürgerinitiative befürchtet steigende Betriebskosten, Änderung des baulichen und sozialen Charakters von Wohngebieten und verstärken Druck auf die Mieter bei Modernisierungen oder gar die Aufforderung zum Kauf der Wohnungen. Als Warnung führt sie eine Wohnanlage in Berlin-Wedding an, wo 1998 nach der Privatisierung die Heizkosten bei gleichem Verbrauch um Größenordnungen stiegen. Nach dem Verkauf der Berliner Gehag 1998 mit 29.000 Wohnungen seien schon im ersten Jahr 3.000 Wohnungen weiterverkauft worden. Davon gingen nur 280 Wohnungen an ehemalige Mieter.

Das Ziel der Schaffung von "Mietereigentum" und das Verbot von en-bloc-Verkäufen stand weitgehend nur auf dem Papier. 2004 wurde in Berlin die größte Wohnungsbaugesellschaft des Landes, die GSW mit insgesamt 70.000 Wohneinheiten, an die US-Finanzinvestoren Whitehall und Cerberus verkauft. Schon innerhalb des ersten Jahres nach dem Kauf sollen 20.000 Wohnungen weiterverkauft werden. Bereits vier Monate nach der Privatisierung wurde ein Teil-Bestand von 1.529 Wohnungen an die Vivacon AG verkauft, die ihrerseits noch 2004 886 Wohnungen an die österreichische Conwert Immobilien Invest AG verkaufte.

Der Verkauf der Dresdner Woba an die - von SPD-Chef Franz Münteferimg "Heuschrecken" genannten - ausländischen Finanzinvestoren könnte Signalwirkung auf andere Kommunen haben, befürchten Mieterverein und Gewerkschaft. Für Hron kann deswegen "das kurzfristige Verschleudern von kommunalem Eigentum nicht die Antwort auf eine verfehlte Finanzpolitik von mehr als zehn Jahren" sein. Die Wohnungspolitik sei sehr sensibel und berühre ein sehr wichtiges Gefühl der Bürger: "Ihre Heimat, ihr Zuhause!"

Das sieht auch Sabine Friedel (SPD) so: "Ich unterstütze das Bürgerbegehren, weil kommunales Vermögen gesichert und erhalten werden muß." Es gehe dabei nicht nur um die Woba-Mieter, sondern um alle Mieter der Stadt, denn mit der kommunalen Gesellschaft könne das Rathaus den gesamten Mietmarkt gestalten. Den Woba-Totalverkauf hält der grüne Kommunalpolitiker Achim Wesjohann für falsch: "Es kann nicht angehen, daß eine so wichtige Entscheidung wie die zur Zukunft der Woba aus heiterem Himmel, ohne vernünftige öffentliche Diskussion und ohne angemessene Beteiligung der Bürger getroffen wird." Deswegen kämpfe er für den Bürgerentscheid. Für diesen könnte es allerdings schon zu spät sein. Denn aus Sicht des Dresdner Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg (FDP) ist die Frist für die Unterschriftensammlung längst abgelaufen. Schließlich sei die Grundsatzentscheidung im Stadtrat bereits Mitte Juli gefallen. Die SPD-Fraktion ist dagegen der Meinung, daß die Frist von zwei Monaten erst seit Ende September laufe, da damals noch einmal eine Grundsatzentscheidung gefallen sei. Jetzt wird das Regierungspräsidium prüfen, ob das Bürgerbegehren zulässig ist.

Foto: Altmarktpassage in Dresden: Immobilienverkauf ohne öffentliche Diskussion und Beteiligung der Bürger


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