© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Verantwortung
Karl Heinzen

Tchibo, heute längst nicht mehr nur eine Kaffeekette, sondern dank umsatzstarker Aktionsangebote auch der achtgrößte Textilienhändler unseres Landes, ist in die Kritik geraten. Eine "Kampagne für saubere Kleidung" wirft dem Unternehmen vor, seine Politik der niedrigen Preise vor allem auf die Ausnutzung von Beschäftigten in der Dritten Welt zu gründen. So müßten Näherinnen in Bangladesch für einen Monatslohn von umgerechnet 20 Euro bis zu 14 Stunden am Tag arbeiten, ohne durch schriftliche Verträge oder Tarifvereinbarungen geschützt zu sein. Zu ihrer Disziplinierung werden Strafen bei Fehlverhalten angedroht, die selbst in der Frühphase der europäischen Industrialisierung als inakzeptabel erschienen wären.

Tchibo reagiert auf die Kritik mit Souveränität, und in der Tat hat das Unternehmen nichts unterlassen, was zur Gewissensberuhigung dienen könnte. Es verfügt über eine Abteilung "Corporate Social Affairs", die sich mit Sozialstandards befaßt, und publiziert zudem seinen Verhaltenskodex im Internet.

Daß gegen diesen beständig verstoßen wird, ist ihm kaum anzulasten: Die beauftragten unabhängigen Auditierungsfirmen können schließlich nicht rund um die Uhr in den Zulieferfirmen in fernen Weltregionen wachen. Ansonsten bleibt auch Tchibo nichts anderes übrig, als die Globalisierung wie ein Naturgesetz hinzunehmen - und diese beinhaltet nun einmal die Ausnutzung von Preisvorteilen etwa auf den Arbeitsmärkten, die sich aus den großen Unterschieden im Wohlstands- und Anspruchsniveau weltweit ergeben.

Die Kampagne wird sich daher im wesentlichen darauf konzentrieren müssen, den Verbrauchern die Freude am Schnäppchen zu vergällen. Gerade dieses Bestreben ist jedoch, so sehr den Gepflogenheiten der Zivilgesellschaft folgend auch von militanten Boykottaufrufen abgesehen wird, heutzutage anachronistisch. Die Chancen der Globalisierung blieben nämlich auf der Strecke, würde sie zur Hebung der Wohlfahrt in den Entwicklungsländern mißbraucht und nicht zur Senkung der Sozialstandards in den Industrienationen genutzt.

Pakistanische Löhne werden sich aber hierzulande nur dann durchsetzen lassen, wenn deren Empfänger wenigstens ihren alltäglichen Grundbedarf weiterhin decken können. Tchibo- oder Aldi-Preise etwa für Kleidung und Nahrung sind also Ecksteine einer Neuen Sozialen Marktwirtschaft, die die Verantwortung für das Überleben der Massen nicht mehr dem Staat aufbürdet, sondern den privaten Discountern überträgt. 


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