© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Nostalgische Rückschau
Lateinamerikas Revolten
Andreas Graudin

Seinem realistischen Titel zum Trotz strotzt das Buch des langjährigen ARD-Hörfunkkorrespondenten in Lateinamerika Heinz G. Schmidt vor Revolutionsromantik und linkem Selbstmitleid. Wie schade!

Außer in Kuba sind alle Revolutionen Lateinamerikas gescheitert. 1968 wurden die marxistischen Studenten in Mexiko-Stadt zusammengeschossen. In Chile flüchtete Salvador Allende gegen die US-Interventionisten 1973 in den Suizid. Rafael Guzman vom "Leuchtenden Pfad" in Peru sitzt hinter Gittern, die "Theologen der Befreiung" sind in der Bedeutungslosigkeit versunken, Kuba mittlerweile wirtschaftlich nicht nur wegen der US-amerikanischen Boykotte ruiniert. Im einst so revolutionären Nicaragua grassiert Korruption, die Ex-Sandinisten bereichern sich. Eine deprimierende Gesamtbilanz aus marxistischer Sicht.

Trost findet die linke Seele an den alten Kampfmythen. Schmidt scheut sich nicht, die Schwarzweißmalerei des Kalten Krieges fortzuschreiben: böse Contra-Söldner gegen edle Sandinistas. Daß viele "Contras" zuvor die sandinistische Revolution von 1979 mitgetragen hatten, wird nicht erwähnt. Natürlich ist Augusto Pinochet ein Finsterling. Vom linken Terror unter Allende weiß Schmidt allerdings kein Wort zu berichten - genausowenig wie von der wirtschaftlichen Konsolidierung Chiles nach Pinochets Staatsstreich.

Schmidt verwendet nicht das böse Wort von "gescheiterten Staaten". Nichts anderes ist aber gemeint, wenn er schildert, wie etwa die Indiobewegung in Bolivien selbstbewußt der Staatsmacht entgegentritt und in den von ihr kontrollierten Gebieten eine eigene Anbaupolitik durchsetzt. Indios und städtisches Subproletariat bilden Kooperativen und Kleingewerkschaften und organisieren in Peru, Brasilien und Paraguay wilde Streiks, Betriebs- und Landbesetzungen.

Hier schimmert eine Hoffnung der antiglobalistischen Linken auf den Aufstand der Globalisierungsverlierer durch. Die sind jedoch weit entfernt von konzertiertem Handeln und komplettieren eher das Chaos. Adiós Revolución! Wie wahr. Bei Schmidt überwiegt dabei die Enttäuschung.

Heinz G. Schmidt: Adiós Revolución! Eine Reise ins Herz Lateinamerikas. Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2005, 224 Seiten, gebunden, 19,90 Euro


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