© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Kenan Kolat
Zurück zu den Wurzeln
von Erol Stern

Die Bundestagswahl ist durch Deutsch-Türken entschieden worden", kommentierte 2002 Kenan Kolat, damals Vizevorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), das Umfrageergebnis der Forschungsgruppe Wahlen, dem zufolge sechzig Prozent der Deutsch-Türken die SPD und über zwanzig Prozent die Grünen gewählt hatten. Diese Aussage sorgte seinerzeit für rege Diskussionen und Rechenexempel innerhalb und außerhalb der Reihen der SPD, welcher auch Kolat als Mitglied des Berliner Landesvorstandes und Chef der Arbeitsgemeinschaft Migration angehört. Nun ist Kolat zum neuen Vorsitzenden der TGD gewählt worden, nachdem der bisherige Amtsinhaber, der Politikwissenschaftler Hakki Keskin (Interview in JF 37/03), sein Amt zugunsten seines Einzugs in den Bundestag für die Linkspartei niedergelegt hatte. Unter Kolats Gratulanten befand sich auch der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit. Er würdigte ihn als "treibende Kraft eines engen Miteinanders" von Deutschen und Türken und betonte, daß Berlin als eine "internationale und weltoffene Stadt der türkischen Community viel zu verdanken hat".

1959 in Istanbul geboren, zog Kolat 1980 nach Berlin und studierte an der Technischen Universität Schiffstechnik. Rasch wurde der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) zu seinem Wirkungsfeld. Mit Kolat an der Spitze avancierte er zu einer der einflußreichsten türkischen Lobby-Organisationen in Deutschland. Der als cholerisch geltende Kolat ist bekannt dafür, seine Ziele bestimmt und lautstark zu verfolgen.

Im Rahmen seiner zahlreichen Ämter und Mitgliedschaften in Gremien und Arbeitsgruppen propagiert er eine Zehn -Prozent-Quote von Lehrern nicht-deutscher Herkunft in Berlin und setzt sich für die doppelte Staatsbürgerschaft ein. Auch beim Entwurf des Integrationskonzepts des Berliner Senats, welches im August verabschiedet wurde, engagierte er sich. Zugleich findet er es nicht anstößig, wenn sich in Deutschland lebende Türken abschotten und dank Ghettoisierung und Satellitenschüsseln quasi "in der alten Heimat leben". "Zurück zu den Wurzeln!", mit diesem Motto beschreibt Kolat die Sehnsucht der zweiten und dritten Einwanderergeneration. Die Ursache dafür sieht der Lobbyist in der "rechtlichen, sozialen und kulturellen Ausgrenzung" und macht den "wiedererstarkten Nationalismus" in Deutschland seit der Wiedervereinigung für die freiwillige Separation von der Mehrheitsgesellschaft ebenso verantwortlich wie die überdurchschnittliche Erwerbslosigkeit der türkischstämmigen Bevölkerung. Für die zumeist schlecht ausgebildeten Türken habe der globale erste Arbeitsmarkt kaum noch Bedarf, was von diesen häufig als Diskriminierung interpretiert würde. Menschlich nachvollziehbar, aber ob Kolat den Antagonismus zwischen Integration und "heimatorientierter Community" mit dieser einseitigen Lageanalyse wird überwinden können, ist sehr fraglich.


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