© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Die Woche
Das Phänomen Schröder
Fritz Schenk

Wir hatten es vorausgesagt: Wenn Gerhard Schröder aus seinem Amt scheidet, wird er einen Trümmerhaufen hinterlassen. Das nicht nur in seiner eigenen Partei, denn dort herrscht das blanke Chaos. Nach dem Scheitern von SPD-Chef Franz Müntefering ist die Pleite der Sozialdemokraten, über die Schröder noch immer als "meine Partei" spricht, komplett. Schlimmer ist die Krise des Staates. Trotz dieser offenkundigen Symptome parliert der (noch) geschäftsführende Kanzler weiter auf allen Bühnen und Podien und erteilt weiter wohlfeile Ratschläge. Der Beifall seines Publikums ist ihm nach wie vor sicher. Wer ihn in diesen Tagen auf den Bildschirmen beobachtet, erkennt einen Mann, den die ganze Aufregung nichts anzugehen scheint.

Gerhard Schröder war ein Phänomen und wird es wohl bleiben. An die Macht gekommen ist er als Nutzer von Augenblicksentscheidungen und überraschenden Konstellationen. So war er Ministerpräsident von Niedersachsen geworden, ohne daß er dort nachhaltige Spuren hinterlassen hat. Als der Stern Helmut Kohls zu sinken begann, nutzte er die gewonnene Landtagswahl, um sich sofort gegen seinen parteiinternen Rivalen Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidaten auszurufen. Gemeinsam mit ihm, Rudolf Scharping, den übrigen Landesfürsten der SPD und deren damaliger Mehrheit im Bundesrat ließ er Kohls Reformprogramm an die Wand fahren.

Als sich Scharping als wenig zugkräftiger SPD-Vorsitzender offenbarte, stürzte er ihn gegen die Satzung der SPD zugunsten von Oskar Lafontaine. Mit ihm als linker Schlammschleuder - und er selber als der besonnener wirkende Weichspüler - errang er die Kanzlerschaft gegen den sich selber schlagenden Helmut Kohl. Mehr als eine "gute Figur" zu machen, war dazu nicht nötig.

Seine erste Amtszeit war eine Folge von Pleiten, Pech und Pannen. Versprochen hatte er die Reduzierung der Arbeitslosigkeit auf unter dreieinhalb Millionen - vier Jahre später waren es über fünf. Kohls (ohnehin zu bescheidene) Finanz- und Sozialreformen nahm er zurück. Ergebnis: Pleite der Staatsfinanzen und Zerrüttung der Sozialsysteme, an denen gerade jetzt die Groß-Koalitionäre zu knabbern haben. Lafontaine warf das Handtuch, Schröder wurde selber SPD-Vorsitzender. Mit einer Fülle von "runden Tischen" und Kommissionen täuschte er Betriebsamkeit vor, ohne daß daraus handfeste Regierungspolitik wurde. Die zweite Wahl gewann er als "Friedenskanzler" durch Täuschung. Denn daß sich Deutschland mit eigenen Truppen am Irak-Krieg hätte beteiligen sollen, hatte nie ernsthaft zur Debatte gestanden. Und um sonstige Unterstützung (Logistik, Luftüberwachung) kam Deutschland wegen seiner Bündnispflichten ohnehin nicht herum. Auch das Elbehochwasser verstanden Schröder und die SPD geschickt für ihren Wahlkampf zu nutzen.

Als die Staatspleite offenkundig wurde, flüchtete er in die "Agenda 2010". Und als dazu die Entscheidungen anstanden, politischer Gegenwind aufkam und ihm vor allem die DGB-Gewerkschaften den Beistand aufkündigten, schob er den Parteivorsitz an Franz Müntefering ab. Die Krönung bildete schließlich sein Trick mit der Vertrauensfrage und der vorgezogenen Neuwahl zum Bundestag. Mit diesem Desaster, seiner eigenen zerstrittenen Partei und einer unsicheren Großen Koalition läßt er uns nun sitzen. Welche Leistung!


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